Mein Arbeitstag:Jede Rolle hat eine Stimmung

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Dem Schauspieler Richy Müller macht Warten heute nicht mehr viel aus.

(SZ vom 1.3.2003) In Mannheim absolvierte Richy Müller eine Lehre zum Werkzeugmacher, in Bochum besuchte er die Schauspielschule, von der er allerdings nach zwei Jahren wieder flog. 1978 spielte er im Film "Die große Flatter" und drehte anschließend mit Rainer Werner Fassbinder und Roland Emmerich.

Als in den achtziger Jahren Film- und Fernsehangebote ausblieben, ging er ans Theater. 1988 kehrte er zum Film zurück und war unter anderem in "Die Apothekerin", "Irren ist männlich", "Die innere Sicherheit" und "Die Affäre Semmeling" zu sehen. In Berlin hat er gerade die Aufnahmen für den Kinofilm "Farland" von Michael Klier beendet.

"Halb zehn. Feierabend. Ich bin abgedreht. Ein gutes Gefühl. Jetzt kann ich entspannen. Immer wieder schießen Bilder durch meinen Kopf - von Leuten, von Situationen, von Erlebnissen mit dem Team. Wenn ich hier 'raus gehe, werde ich nicht mehr an den Film denken. Dann habe ich alles abgeschüttelt. Ich werde mich ins Auto setzen, werde Musik anmachen und nach Hause fahren. Eigentlich muss ich nun auch anfangen, umzudenken, denn in einer Woche beginne ich mit einem neuen Film.

Wie ich mich auf den Drehtag vorbereite? Mit einer Art Ritual: Ich dusche erst heiß, dann kalt. So schaffe ich mir eine neutrale Situation. Das war's. Viele lesen noch mal im Textbuch, um in die Rolle 'reinzukommen, ich tue das nie. Dann fängt der Alltag an, wie bei jedem anderen Job: Ich fahre in die Arbeit. Abholen lasse ich mich nie. Ich habe beim Autofahren meinen eigenen Rhythmus, ich bestimme meinen Weg gerne selbst.

Um halb elf musste ich heute hier sein. Ich hab' mich umgezogen, der Maskenbildner kam, ich kriegte die Frisur von Axel, meiner Figur - und ich bin in dieses andere Leben eingetaucht. Zehn Szenen haben wir gedreht, fast alle drehten sich irgendwie ums Auto: im Auto sitzen, im Auto schlafen, vom Auto zum Haus gehen - also Szenen, die man aus logistischen Gründen zusammenlegt und später über den gesamten Film verteilt.

Das Treatment für diese Produktion hatte ich im vergangenen Sommer gelesen, und ich wusste sofort: Ich will die Rolle. Die Geschichte hat mich berührt, die Figur hat mich für sie eingenommen. Um was es in dem Film geht, ist meistens egal, und auch, wie attraktiv die Rolle ist oder was der Regisseur sonst noch gedreht hat. Entscheidend ist die Stimmung, die ein Text in mir auslöst. Die für Axel habe ich jetzt neun Wochen mit mir herumgetragen. Wenn ich vor der Kamera stehe, kann ich sie jederzeit abrufen.

Ein Stück vom Leben

Schauspielerei ist nicht die Darstellung einer Figur, wie man sie sich klischeehaft vorstellt - im Sinne von: der Pfarrer oder der Neurotiker. Sondern man gibt ihr eine Stimmung mit, haucht ihr Leben ein. So macht man die Figur dem Zuschauer verständlich, und zwar ohne große Erklärungen.

Das Schwierigste beim Drehen war für mich lange Zeit das Warten. Irgendwann habe ich aber entdeckt, wie wichtig es für mich ist, die Leute aus dem Team kennen zu lernen und mit ihnen zu reden. So schaffe ich mir eine lebendige Umgebung - und nur so kann ich eine lebendige Figur spielen. Wenn ich dann vor die Kamera trete, nehme ich ein Stück von dem Leben mit.

Früher wollte ich gut sein, wollte besser werden. Ich hatte Angst, zu versagen. Bis ich verstanden habe, dass Schauspielerei heißt, einfach nichts Besonderes zu machen. Dabei versuche ich, so präzise wie möglich die Vorstellungen des Regisseurs umzusetzen. So verstehe ich zumindest meine Aufgabe als Schauspieler. Es ist sein Film und nicht meiner. Und ich bin nur Teil eines Ganzen.

Ich mag meinen Beruf. Ich lebe viele Leben und lerne viel über Gefühle. Wenn man versucht, etwas zu spielen, versteht man plötzlich, wie Menschen sich verhalten und warum. Aber der Beruf ist nicht mein Lebensinhalt. Viel wichtiger sind mir Freunde. Ich kann nur Schauspieler sein, wenn es noch etwas anderes in meinem Leben gibt.

Früher fand ich es sehr schwierig, auf die nächste Rolle zu warten. Aber heute? Ich werde längst nicht mehr nervös, wenn ich wie letztes Jahr neun Monate nicht arbeite. Ich warte einfach, was kommt. Ich habe das erreicht, was ich immer erreichen wollte, nämlich dass viele Leute gerne mit mir drehen wollen, und das ist ein schöner Zustand.

In einer Woche fange ich in Köln mit einem neuen Film an, einem kleinen Fernsehspiel. Also muss ich jetzt sehen, dass ich meine Stimmung verändere. Am leichtesten gelingt mir das, wenn ich wieder einen Rhythmus finde, der mit mir selbst etwas zu tun hat. Und zur Zeit mache ich am liebsten Musik. Ich komponiere am Keyboard oder ich spiele Gitarre, das allerdings ziemlich unsäglich. "

Aufgezeichnet von Gunthild Kupitz

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