Mein Arbeitstag:Ein nahtloser Übergang

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Der Schuster Bertl Kreca sieht sich als Industrieller und nicht als Handwerker.

(SZ vom 18.1.2003) Bertl Kreca hat zunächst eine Lehre als Melker, Fachrichtung Käserei, absolviert. In den Bavaria Filmstudios baute er Figuren für den Film "Die unendliche Geschichte", bevor er eine zweite Ausbildung zum Schuhmacher begann. Seit 1989 hat er in München eine eigene Werkstatt für handgefertigte und maßgeschneiderte Schuhe.

Bertl Kreca, der Schuh-Bertl aus München, schaut, dass er ein ein super Bett hat und eine Arbeit, die ihm Spaß macht. (Foto: N/A)

"Die meiste Zeit im Leben verbringt man im Bett und bei der Arbeit. Also muss man schauen, dass man ein super Bett hat und eine Arbeit, die einem Spaß macht. Die habe ich gefunden. Ich bin Schuster, obwohl: Eigentlich bin ich schon Industrieller. Mein Hauptgeschäft ist es inzwischen, Schuhe zu entwickeln. Ich konstruiere Modelle, baue Prototypen und lasse sie in Serie fertigen.

Maßschuhe mache ich kaum noch. Ich nehme keine neuen Kunden mehr, und von den alten stehen einige auf der Warteliste. Ein Professor zum Beispiel hat gerade drei Paar bestellt. Die kosten 1300 Euro und mehr. Das ist viel Geld, und trotzdem verdiene ich nichts dran. Vielleicht mach' ich ihm welche, wenn ich Lust dazu habe. Auf Dauer werde ich mich ganz davon zurückziehen und sie in Lizenz bauen lassen. In Transsilvanien gibt es einen hervorragenden Maßschuhmacher. Der wird das für mich machen. Ich konzentriere mich dann auf andere Sachen.

Handwerker stehen normalerweise ja zwischen fünf und sechs Uhr auf. Ich schlafe meist bis um zehn und gehe dann über die Straße in mein Geschäft - heute so gegen elf. Die Katrin, meine Praktikantin, war schon da. Ich habe erst mal zwei, drei Liter Saft gemacht, aus Ananas, Birnen und gelben Rüben. Das ist unser Morgenritual. Zwischen Schälen und Pressen habe ich die ersten Briefe und Rechnungen aufgemacht, dann habe ich die Kartons mit den Bestellungen von gestern unter den Arm gepackt und bin zur Post marschiert. Später habe ich ein paar Leute zurückgerufen, unter anderem einen aus Ostdeutschland, der Leisten für mich produziert. Mit diesen paar Erledigungen habe ich so viel Geld verdient wie ein Schuhmacher sonst vielleicht in einer Woche mit Reparieren. Und Spaß hatte ich auch dabei.

Die meisten Handwerker dreschen ihr Zeug lieblos runter - warum? Weil sie nichts mehr daran verdienen. Viele können mit 70 noch nicht aufhören, und selbst dann kriegen sie eine Rente, dass es einem weh tut. Ich habe alles so hergerichtet, dass ich mit 50 aufhören kann: Ich habe zwei Eigentumswohnungen und genug Lebensversicherungen. Ich habe relativ früh kapiert, dass ich das mit dem Handwerk allein nicht schaffen werde. Und ich habe relativ schnell gecheckt, dass die Industrie gute Handwerker braucht. Also habe ich meine Grundlagen so ausgebaut, dass ich nahtlos den Übergang zur Industrie geschafft habe.

Maßschuhe sind nicht besser als maschinell gemachte Schuhe: Maßschuhe sind Kompromisse ohne Ende. Ich lasse gerade in England einen Business-Schuh produzieren, ganz ohne Kleber. Das kann ich bestimmen, weil ich nicht ein Paar Schuhe mache, sondern tausend. Und ich kriege eine irrsinnige Anerkennung: Vor einem halben Jahr hat die Berliner Charité angerufen und gefragt: Bertl, dürfen wir Ihren Schuh testen? Klar, habe ich gesagt, aber ich sag Ihnen jetzt schon, das gibt einen glatten Einser.

Meinen ersten Schuh habe ich wegen eines Kunden entwickelt. Ich hatte das Glück, den richtigen Fabrikanten dafür getroffen zu haben - und die richtige Zeit. Ich habe eine Riesen-Stückzahl davon verkauft.

Mittlerweile mache ich ja nicht nur Schuhe, sondern alles, was schön ist, unter anderem auch Koffer. Die Schlösser werden dafür von Hand in Florenz geschmiedet. Die Werkstatt arbeitet vor allem für Hermès und Louis Vuitton, und die Vuitton-Bosse fanden meine Produktion so cool, dass sie gefragt haben, ob sie mich in ihren Shopping-Führer aufnehmen dürfen.

Aber ich mache schon wieder das Nächste. Während ich jetzt rede, bin ich mit meinen Gedanken in Spanien und Italien, wo ich einen Jagdstiefel mache. Und gleich habe ich noch einen Termin mit meinem Illustrator, der die Konstruktionszeichnungen für mich macht. Um 20 Uhr sperre ich den Laden zu. Dann muss ich noch ein paar Sachen in der Werkstatt fertig machen und aufräumen. Bis ich hier rauskomme, wird es zehn. Das ist ganz normal. Aber ob ich acht Stunden im Laden bin - und das ist das Minimum - oder 15, ich achte nicht darauf. Weil ich mit Leib und Seele dabei bin. Wenn ich irgendwo privat bin, muss ich mich immer zusammenreißen, um nicht ständig über Schuhe zu reden. "

Aufgezeichnet von Gunthild Kupitz

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