Management:Im neuen Takt der Gehirnlaufzeiten

Lesezeit: 2 min

Über die Bedeutung des Wissenskapitals für Unternehmen.

Dagmar Deckstein

(SZ vom 10.6.2002) Der gemeine Manager ist extrem zahlenfixiert. Sein Hauptaugenmerk gilt allem, was rechen- und bezifferbar ist. Er liebt die unbestechlichen Ziffern, wurzelnd in und errechnet auf der Wertschätzung der harten Faktoren wie Maschinen, Anlagen, Grundbesitz und Beteiligungen. Aber viele dieser Zahlen tendieren hinsichtlich ihrer Aussagekraft immer mehr gegen Null. Werfen wir den Zahlenfetischisten und Bilanzierungskünstlern deswegen also ein paar neue und interessantere Ziffern in ihre Rechenstuben: Zehn drei zehn, 400.000 und 1000 Milliarden.

Lehrstuhl für nicht greifbare Werte

Hinter diesen Zahlen steckt Leif Edvinsson, der weltweit erste "Director of Intellectual Capital" beim schwedischen Finanzdienstleister Scandia. Vor zehn (!) Jahren hat er dort begonnen, ein Erfassungs- und Bilanzierungssystem für Intellektuelles Kapital und nicht greifbare Werte zu entwickeln. Seit April letzten Jahres ist Edvinsson Professor auf dem weltweit ersten Lehrstuhl für "Intellectual Capital" an der Universität Lund in Schweden.

Der Erstbesteiger ungehobener Wissensberge, der ausgewiesene Zukunftsdenker las nun ausgewählten deutschen Managern die Leviten - neulich auf dem Frankfurter Forum für Wissenschaft und Wirtschaft, bei den so genannten Johannisberger Gesprächen.

Erschrockene Zuhörer

In der kurzen, aber umso Aufsehen erregenderen Zusammenfassung seiner bisherigen Arbeit und jener, die auf das leicht irritierte Publikum zukommen würde, schreckte Edvinsson seine Zuhörer mit der Ziffer drei (!) auf: Nur drei Jahre hätten jene Zeit, das zu zählen und in ihre Bilanzen einzurücken, das viele bisher noch nicht einmal als relevant fürs Geschäft erkannt haben, geschweige denn beziffern können: Das Wissenskapital.

Vom 1.1.2005 an müssen börsennotierte Firmen ihre Bilanzen nach den International Accounting Standards (IAS) vorlegen, und darin auch ihre "immateriellen Vermögenswerte" offen legen. Also auch alles das, was sich an frischen, innovativen Ideen in den Köpfen der Mitarbeiter befindet, aber nicht das Tageslicht erblickt.

Jeder Mensch werde mit einer Gehirnkapazität von einer Million Ideen geboren - aber: "wie steht es mit der Effizienz Ihrer Gehirnarbeiter? Treiben Sie in Ihrem Unternehmen schon Gehirngymnastik? Haben sie schon einen Hirnforscher im Vorstand?" Die ökonomischen Schlachten der Zukunft werden ganz unblutig mit Köpfchen geschlagen, in welchen riesige ungehobene Schätze schlummern. Allein in den USA werden inzwischen 1000 (!) Milliarden Dollar in jene nicht greifbaren Werte investiert, ohne dass sie in Bilanzen oder Effizienzprüfungen eingehen, zitierte Edvinsson eine US-Studie.

Graues Universum

Was nun soll der Gehirnforscher im Vorstand? Diese auf Anhieb etwas skurrile Vorstellung hat nun mit der letzten Ziffer 400.000 zu tun. 400 000 Milliarden Verbindungen - Synapsen - umfasst das graue Universum im menschlichen Kopf, und ständig bilden sich nach Gehörtem, Gelesenem, Gelerntem neue. Ach ja, das nur am Rande: Das weibliche Gehirn bildet schneller neue Synapsen. "Wie viele Frauen haben Sie in Ihren Führungsetagen?"

Etwas deutlicher wird schon, dass man etwas über die Funktion des menschlichen Gehirns wissen muss, um neben dem Intelligenz- und dem Emotional-Quotienten auch den Synapsen-Quotienten der Belegschaft zu steigern. Man muss auch etwas über die Gehirnlaufzeiten wissen, um zu erkennen, dass Wissensarbeiter nicht mehr als zwei bis vier Stunden am Tag arbeiten sollten.

Wer darauf keine Rücksicht nimmt, begeht Raub am Intellektuellen Kapital seines Unternehmens - nichts anderes verbirgt sich hinter dem Syndrom "Burn-out". Mal sehen, wie lange es dauert, bis sich Edvinssons Botschaften in den Gehirngängen der Manager eingenistet haben, währenddessen die Zeit rennt: "Die Zukunft beginnt in 14 Sekunden."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: