Männer in Frauenberufen:Der Exot im Kindergarten

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Unverstanden, unterbezahlt und unerwünscht - warum in Deutschland kaum Männer in Krippen und Kitas arbeiten, obwohl Experten längst vor den negativen Folgen für die Kinderentwicklung warnen.

Charlotte Frank

Es ist ein bisschen eng in der Puppenecke, wenn man 27 Jahre alt ist und ein groß gewachsener Mann. Oben muss Björn Rollke aufpassen, sich den Kopf nicht am Klettergerüst zu stoßen, seitlich droht sich sein Ellenbogen in einem Miniatur-Wäscheständer zu verheddern, und auf dem Fußboden liegen überall bunte Plastikgabeln, denen es auszuweichen gilt.

Jobsuche mit Hürden: Männer, die gerne mit kleinen Kindern arbeiten, gelten bei manchen Eltern immer noch als verdächtig. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Aber Björn Rollke bewegt sich gekonnt durch die Puppenecke zu der Kindergruppe, die ihn gerade gerufen hat, "weil das Essen fertig ist".

Der Mann mit dem blauen Hawaiihemd und den zwei großen Ringen im linken Ohr setzt sich zwischen Semi, vier Jahre alt, und die zweijährige Hanna und bekommt einen knallroten Puppenteller in die Hand gedrückt. Es gibt Holzkugeln mit Papierschnipseln.

Seltene Spezies

Der 27-jährige Björn Rollke arbeitet als Erzieher in der Münchner Kooperationseinrichtung an der Friedensstraße. Inmitten von 74 Kindern und elf Kolleginnen ist er der einzige Mann.

"Ein Exot, ich weiß", sagt er und streicht sich durch den langen, braunen Kinnbart. "Aber so ist das eben in diesem Beruf."

Tatsächlich sind in ganz Deutschland gerade mal 3,8 Prozent aller Erzieher in den Kindertagesstätten männlich. Das heißt: Den 374.170 Erzieherinnen stehen bundesweit gerade mal 14.359 Erzieher gegenüber. Am weitesten vorne, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, liegt mit 11 Prozent noch Bremen.

Tief verwurzelte Rollenklischees

In Bayern hingegen sind gerade mal 2,1 Prozent der Kindergärtner Männer. "Eine ganz seltene Spezies", wie es Franz-Josef Kolvenbach ausdrückt, der die Studie 2002 im Auftrag des Statistischen Bundesamtes durchführte. Derzeit läuft eine neue Studie, um die Zahlen zu aktualisieren - große Veränderungen sind nicht zu erwarten.

"Wir haben es hier mit tief verwurzelten Rollenklischees zu tun, die sich in der Berufswahl der Erzieher niederschlagen", sagt Melitta Walter.

Die auf Geschlechterfragen spezialisierte Pädagogin und Buchautorin hat die Beobachtung gemacht: "Männer sollen echte Kerle sein: Automechaniker oder Polizisten, aber keine Kindergärtner."

Dem traditionell-konservativen Klischee zufolge habe man es hier noch immer mit einem "Weicheier-Beruf" zu tun. Das schrecke viele Männer ab.

Vorbilder in Erziehung fehlen

Die bekennende Feministin ärgert sich darüber: "Da reden wir von Vätermonaten und Elterngeld, aber dort, wo das Ganze ansetzen könnte, lernen die Kinder als einzigen Mann den Hausmeister kennen.

"Das präge auch die Weltbilder der meisten kleinen Jungs: Sie suchten sich Ersatzvorbilder, derzeit vielleicht am liebsten Michael Ballack oder Oliver Kahn. Fürsorgliche Männer kämen da nicht vor.

Außerdem lernten Kinder nicht, was es bedeutet, von Männern und Frauen gemeinsam erzogen zu werden: "Trotz aller Änderungen der Rollen von Mann und Frau verbleibt die Aufgabe der Erziehung primär bei den Müttern", sagt Walter. Und empört sich: "Wenn man das nicht ändert, kann man sich das Gerede von der Gleichberechtigung doch gleich sparen!"

Was sie damit meint wird klar, wenn man Björn Rollke bei der Arbeit zusieht. Den kleinen Jungen und Mädchen erscheint es offensichtlich ganz natürlich, dass in ihrer Mitte ein Mann durch die Puppenecke krabbelt.

"Bei uns werden die Kinder damit groß, dass ein Mann genau wie eine Frau für die Erziehung, fürs Wickeln, Spielen und Kochen zuständig ist", sagt Rollkes Vorgesetzte Ute Rumpel. Sie hat außerdem beobachtet: "Die Kinder sind viel agiler und spontaner, wenn er in der Nähe ist."

Fast nur Teilzeitjobs

Um da hinzukommen, genüge es aber nicht, nur das Klischee vom Erzieherberuf als einem reinen Frauenjob aus dem Weg zu räumen. "Viele Männer hält vielmehr die schlechte Bezahlung davon ab, Kindergärtner zu werden. Darauf achten sie meistens mehr als Frauen", sagt Bernhard Eibeck von der Gewerkschaft GEW.

Mit einer Vollzeitstelle verdiene ein Erzieher einer städtischen Einrichtung, der drei Jahre Berufserfahrung hat, gerade mal 2050 Euro brutto im Monat. "Aber volle Stellen findet man in dieser Branche ja kaum", kritisiert Eibeck und weist darauf hin: Nur für Putzfrauen und Kellner gebe es noch mehr Teilzeitstellen als für Kindergärtner.

Ressentiments gegen Männer

Der Erzieher Andreas Ankert stieß noch auf andere Probleme. Trotz des Mangels an männlichen Kollegen war er 14 Monate arbeitslos, bevor er als Kinderpfleger in einem Hort bei München eingestellt wurde. Ankerts unangenehmes Fazit aus der langen Jobsuche: "Viele Menschen betrachten einen Mann, der Kinder mag, gleich als pervers."

Solche schlechten Erfahrungen hat Björn Rollke, selbst Vater einer kleinen Tochter, noch nicht gemacht. Für ihn ist der Erzieherberuf ein Traumjob. Aber er weiß auch: "Ich habe viel Glück gehabt. Es muss noch viel geschehen, damit es auch anderen Männern in diesem Beruf so geht."

© SZ vom 13.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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