Lesetest an Grundschulen:Mehr Förderung, mehr Integration

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Die neue Iglu-Studie zeigt: Die deutschen Grundschüler sind bemerkenswert gut - vor allem im Vergleich zu den 15-Jährigen, die bei Pisa getestet werden. Doch die soziale Auslese bleibt ein Problem.

Tanjev Schultz

Die deutschen Grundschulen sind bemerkenswert gut. Im Gegensatz zu den 15-Jährigen, die in Pisa getestet werden, brauchen Viertklässler den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Dies war schon vor Jahren so; nun haben sich die Lese-Leistungen in der internationalen Grundschulstudie Iglu sogar noch einmal verbessert. Die Pädagogen haben ihre Anstrengungen in der Leseförderung verstärkt, und ihre Mühen sind nicht vergebens. Manch einer hat die Debatten nach dem "Pisa-Schock" als selbstquälerisch empfunden. Doch Kritik und Ansporn waren und bleiben notwendig.

Auch die neuen Iglu-Ergebnisse bieten keinen Anlass zu selbstgefälligem Jubel. Zunächst aber kann man einen kleinen Knicks machen vor den Grundschullehrerinnen (Männer gibt es dort ja leider kaum). Ihnen gelingt oft eine Integrationsleistung, die man sich so auch an den weiterführenden Schulen wünschte.

Liebe zu den Kindern und zur Pädagogik

Die Grundschulen sind Gemeinschaftsschulen. Zwar gibt es auch hier soziale Unterschiede, je nachdem in welchem Bezirk die Schule liegt. Dennoch ist das Profil der Schülerschaft nicht ganz so einseitig wie an den Gymnasien oder Hauptschulen. In den ersten Klassen sitzt der Professorensohn oft noch neben dem Kind eines Lagerarbeiters, Michael sitzt neben Mustafa, Ayse neben Anna.

Die Lehrerinnen sind darauf eingestellt, dass jeder Schüler unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt. Einige Kinder können schon zur Einschulung flüssig lesen, andere tun sich damit auch in der zweiten Klasse noch schwer. Weil die Lehrerinnen mit solchen Unterschieden täglich umgehen müssen, sind viele von ihnen offen für moderne Unterrichtsmethoden, die eine individuelle Förderung erlauben (auch wenn andere Länder in dieser Hinsicht noch viel weiter sind). Dazu kommt eine Liebe zu den Kindern und zur Pädagogik, die man bei manchem Studienrat, der sich wie ein Professor gebärdet und nur den ganz fleißigen und wissenden Schüler schätzt, schmerzlich vermisst.

Zur Ehrenrettung der Studienräte muss man sagen: Pubertierende Jugendliche sind gewiss oft schwieriger als die kleinen Zweitklässler. Dennoch wird die Arbeit in der Grundschule unterschätzt. Die Lehrerinnen werden schlechter bezahlt als am Gymnasium, Aufstiegschancen gibt es kaum. Den Grundschullehrerinnen fehlt außerdem professionelle Unterstützung. In Schweden oder England sind zusätzliche Lese-Pädagogen, Förder- und Sprachheillehrer sehr verbreitet. In Deutschland steht die Lehrerin meist allein da. So bekommen viele Kinder nicht die intensive Förderung, die sie bräuchten. Zum einen ist der Anteil an "Spitzenlesern", die besonders souverän mit Texten umgehen können, in Deutschland vergleichsweise gering. Zum anderen schaffen es auch die Grundschulen bisher nur ansatzweise, den Rückstand von Kindern aus bildungsarmen Familien auszugleichen.

Besessen vom Abitur

Und einmal mehr zeigt die neue Iglu-Studie, dass es Arbeiterkinder doppelt schwer haben. Weil sie daheim weniger gefördert werden, sind ihre Leistungen oft schlechter. Aber selbst dann, wenn sie genauso viel können wie ein Kind aus der Oberschicht, werden sie am Ende der vierten Klasse seltener für ein Gymnasium empfohlen. Die Eltern verstärken dieses ungerechte Urteil der Lehrer noch. Viele Beamte und Unternehmer sind wie besessen vom Abitur, Arbeiter dagegen neigen dazu, ihr Kind zu unterschätzen und vom Gymnasium fernzuhalten. Die Verteilung der Schüler auf die verschiedenen Schulformen genügt damit nicht einmal der ihr zugrundeliegenden Begabungsideologie.

Sicher wollen die Lehrerinnen ihre Schüler, die aus bildungsarmen Familien kommen, nicht bewusst diskriminieren. Gerade die, die von ihren Eltern nicht angespornt werden, brauchen aber viel mehr Ermutigung. Sonst verkommt die Demokratie zum Ständestaat.

© SZ vom 29.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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