Lernen von Korea:Ausweg aus der Hochschulmisere

Lesezeit: 4 min

Die Finanzierung der Hochschulbildung in Deutschland ist ungenügend und sozial ungerecht. Australien und Südkorea machen vor, wie es besser geht.

Barbara Ischinger

Mitte November waren in ganz Südkorea die Flughäfen für mehrere Stunden geschlossen. Der Grund war keine Terrorwarnung, sondern die jährlich stattfindende Aufnahmeprüfung für die Universitäten. Der Lärm der startenden und landenden Maschinen sollte die Prüflinge beim Hörverständnistest der Englischprüfung nicht beeinträchtigen. Die Aufnahmetests sind in Korea jedes Jahr ein Großereignis. Die ganze Familie, ja das ganze Land fiebert mit den Prüflingen mit. Wer es mit guten Ergebnissen auf eine der besten Hochschulen schafft, hat Aussichten auf eine glänzende Karriere.

Korea hat Deutschland in der Hochschulbildung weit abgehängt. (Foto: Foto: AP)

Südkorea hat in der Bildungspolitik eine beachtliche Entwicklung hinter sich. 1960 entsprach die Wirtschaftsleistung des Landes der Afghanistans. Heute ist Korea eine Hochtechnologie-Ökonomie und auf dem dritten Platz der OECD beim Bildungsstand der 25- bis 34-Jährigen. Diese Dynamik ist das Ergebnis massiver Investitionen. Mit 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gehört Korea nach den USA zu den Ländern, die am meisten von ihrer Wirtschaftsleistung in die Hochschulbildung stecken.

Deutschland hat dagegen an Boden verloren. Während hierzulande zwischen 2000 und 2004 die Zahl der Hochschulabsolventen eines Jahrgangs nur um etwas mehr als einen Prozentpunkt auf knapp 21 Prozent gestiegen ist, führen die OECD-Länder heute im Schnitt knapp 35 Prozent eines Jahrgangs zu akademischen Abschlüssen. In Deutschland fließen nur 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Hochschulbildung - im OECD-Schnitt sind es 1,4 Prozent.

Gerechte Verteilung

Die Industrie klagt bereits über einen Fachkräftemangel. Der demographische Übergang und die Tatsache, dass nur mit innovativen Produkten ein hohes Lohnniveau zu halten ist, werden den Bedarf an gut ausgebildeten Menschen weiter erhöhen. Dass der relative Einkommensvorteil einer Hochschulausbildung in den letzten zehn Jahren um mehr als 20 Prozentpunkte gestiegen ist, zeigt deutlich, dass die Nachfrage nach Spitzenqualifikationen stärker steigt als das Angebot.

Bei der Finanzierung von Bildungsleistungen muss es also um einen Ausbau des Hochschulsystems gehen. Doch woher soll das Geld dafür kommen? Innerhalb der OECD bieten sich zwei Modelle an: In Korea, Kanada und den USA, die überdurchschnittlich viel von ihrer Wirtschaftsleistung in Hochschulbildung lenken, werden Bildungsinvestitionen überwiegend privat finanziert.

Eine zweite Gruppe von OECD-Ländern, zu der die Staaten in Skandinavien gehören, fällt ebenfalls durch hohe Investitionen auf. Hier ist das Studium jedoch steuerfinanziert und für die Studenten weitgehend gebührenfrei. In Dänemark werden den Studenten sogar die Lebenshaltungskosten finanziert. Allerdings schöpfen die skandinavischen Staaten durch eine sehr progressive Einkommenssteuer einen Teil der Bildungsrenditen wieder ab. Wer nach dem Studium überdurchschnittlich gut verdient, zahlt also auch besonders viel Steuern.

Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Während eine nachgelagerte Besteuerung jungen Bürgern ohne Eigenkapital den Zugang zu Bildung ermöglicht, treffen hohe Steuern auch denjenigen, der ohne Bildungsinvestitionen zu einem hohen Einkommen gekommen ist. In beiden Fällen müssen aber diejenigen, die in den Genuss einer höheren Bildung kommen, auch einen größeren Teil der Kosten übernehmen. Dies ist gerechtfertigt, denn Akademiker erzielen in der Regel nicht nur höhere Einkommen als andere Berufstätige. Ihr Risiko, arbeitslos zu werden, ist ebenfalls geringer.

Auch in Deutschland ist das Studium weitgehend steuerfinanziert, von einer gerechten Verteilung der Lasten kann jedoch kaum die Rede sein. Denn im Unterschied zu den skandinavischen Ländern tragen hier vor allem Durchschnittsverdiener den größten Teil der Steuerlast und damit auch den größten Teil der Bildungsinvestitionen.

Trotz eines gebührenfreien Zugangs zur Hochschule ist es außerdem in der Vergangenheit nicht gelungen, eine soziale Ausgewogenheit herzustellen. So zahlen, pointiert gesagt, noch immer Facharbeiter, die ihre Töchter und Söhne nicht zum Studium schicken, für die Hochschulbildung der Bürgerkinder. Höhere Bildungsinvestitionen würden, wenn sie ausschließlich aus Steuern finanziert werden, bei einer unveränderten Steuerstruktur diese Schieflage noch verstärken.

Ähnliches gilt allerdings für Studiengebühren, wie sie nun in mehreren Bundesländern eingeführt oder beschlossen worden sind. Sie leisten keinen nennenswerten Beitrag zu den hohen Gesamtkosten eines Studiums, können aber mögliche Studenten aus Familien mit geringeren Einkommen abschrecken.

Auch Studienkredite, die nicht mehr sind als zinsverbilligte Darlehen mit einer langen Tilgungszeit, können das Risiko für die Studenten nicht mindern. Sie verschaffen zwar die notwendige Liquidität, um ein Studium zu beginnen. Doch sie verschieben die zu leistenden Zahlungen nur in die Zukunft, ohne dabei die individuelle Unsicherheit, die für Bildungsinvestitionen typisch ist, zu berücksichtigen.

Im Schnitt mögen die Einkommen von Akademikern hoch sein, doch es gibt eine breite Streuung. Nicht jeder, der ein Studium abschließt, kann diese Investition in ein - im Vergleich zu Absolventen kürzerer Berufsausbildungen - höheres Einkommen umsetzen.

Ein Ausweg wäre eine intelligente Strukturierung von Studiengebühren. Australien ist das erste Land, das diesen Weg gegangen ist: Dort ist der Anteil der privaten Ausgaben für die Hochschulen vergleichsweise hoch. Die Gebühren sind nach dem später zu erwartenden Einkommen gestaffelt, und der Staat vergibt in großem Umfang Studienkredite, die später über einen Zuschlag auf die persönliche Einkommenssteuer zurückgezahlt werden. Dadurch sind die Kosten direkt an die Bildungsrendite gekoppelt, also an die Erträge, die jeder aus seiner höheren Bildung zieht.

Dieses System ist nicht nur vergleichsweise gerecht; es hat auch geholfen, den Anteil an Hochqualifizierten deutlich zu steigern. Seit der Reform der Studienfinanzierung Anfang der neunziger Jahre ist der Anteil der Studienanfänger in Australien kontinuierlich gewachsen. Mittlerweile erreichen mehr als 45 Prozent eines Jahrgangs einen akademischen Abschluss. Das Land steht damit nach Island, Neuseeland und Finnland an dritter Stelle unter den OECD-Ländern.

Deutschland muss schnell einen Weg finden, um zusätzliche Ausgaben für die Hochschulbildung zu finanzieren. Je gerechter solche Modelle die Lasten verteilen, desto größer ist ihre politische Legitimität. Vorbilder dafür gibt es.

Die Autorin ist Bildungs-Direktorin der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris; zuvor war die Afrikanistik-Professorin Vizepräsidentin für Internationales der Humboldt-Uni in Berlin.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: