Lehrermangel in Bayern:Eine 3,5 im Examen reicht für die Schule

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Mathe, Deutsch, Naturwissenschaften: In vielen Fächern sind die Einstellungskriterien so niedrig, dass selbst unqualifizierte Bewerber zum Zug kommen.

Christine Burtscheidt

Der Lehrermangel wird sich im neuen Schuljahr nochmals zuspitzen. Besonders an den Hauptschulen und den Gymnasien. Dort seien bereits jetzt alle verfügbaren Aushilfskräfte im Einsatz, beklagt der bayerische Philologenverband. Bewerber werden inzwischen fast in allen Fächern gesucht. In den Naturwissenschaften, Mathematik, Deutsch oder Ethik erhalten nahezu alle Kandidaten einen Job. Selbst eine 3,5 im Staatsexamen reicht für eine Anstellung aus.

Dauerthema Lehrermangel: Schon 1998 demonstrierten Weilheimer Schüler für mehr Lehrer - und kleinere Klassen. (Foto: Foto: AP)

Bereits Ende Juli sprach Kultusminister Siegfried Schneider von einer "ausgezeichneten Einstellungssituation". Rund 75 Prozent der Bewerber würden übernommen. Solch gute Chancen gab es zuletzt in den 70er Jahren.

In Mangelfächern wie Deutsch, Mathematik, Latein, Wirtschaft oder Sport können Bewerber auch mit einer 3,5 als Abschlussnote im Staatsexamen im neuen Schuljahr mit einer Stelle rechnen. Denn zurzeit gehen überproportional viele Lehrer in Pension. Der Philologenverband schätzt die Zahl derjenigen, die allein im Juli an Gymnasien in Rente gingen, auf rund 800 Lehrer. Zugleich sinkt die Schülerzahl nicht wie eigentlich prognostiziert.

Bislang behalf sich die Staatsregierung, deren oberstes Ziel ein ausgeglichener Staatshaushalt ist, mit Maßnahmen wie Arbeitszeitverlängerung oder so genannten Arbeitszeitkonten, um das Problem zu mildern.

Stellen waren hingegen rar. So kamen noch im vergangenen Herbst Anwärter mit guten Examina in gesuchten Fächerverbindungen wie Englisch und Geschichte oder Erdkunde nicht zum Zuge, obwohl sie eine Examensnote mit einer Eins vor dem Komma hatten. In diesem Herbst reicht nun bereits eine Drei vor dem Komma. Denn inzwischen sind alle Sparmaßnahmen ausgereizt, der Staat muss wieder einstellen.

"Der Lehrermangel wurde zu lange künstlich verschleiert", sagt der deutsche Philologenchef Heinz-Peter Meidinger. Die Listen für Aushilfskräfte seien in Bayern leergefegt. Besonders in strukturschwachen Gegenden wie Niederbayern und der Oberpfalz. Er selbst suche als Deggendorfer Schulleiter händeringend nach Pädagogen für Englisch, Französisch und Geschichte. An anderen Schulen fehlten vor allem Deutschlehrer.

Der bayerische Verbandsvorsitzende Max Schmidt prognostiziert für das kommende Schuljahr einen weiter zunehmenden Unterrichtsausfall, der schon jetzt von Schule zu Schule zwischen drei und zehn Prozent schwanke. Dramatisch, sagt er, werde es im Schuljahr 2006/07.

Die Philologen führen das Defizit vor allem auf eine "zu kurzsichtige Einstellungspolitik" der Staatsregierung zurück. Deren Folgen will zwar keiner aussprechen, schon um die eigene Klientel nicht zu verprellen. Tatsächlich aber befürchtet man, dass bei so niedrigen Einstellungshürden nun wieder Kandidaten in den Job übernommen werden, die ihm möglicherweise nicht gewachsen sind. 20 bis 30 Prozent der Bewerber, so inoffizielle Schätzungen, werden jährlich für nicht ausreichend qualifiziert gehalten. Auf sie muss nun der Staat zurückgreifen.

Dies wäre vermeidbar gewesen, hätte die Regierung in den Jahren zuvor vorausschauend bereits geeignete Bewerber übernommen, sagt Schmidt. Er beklagt die Folgen einer solchen Politik: "Es kann nicht angehen, dass Bewerber in einem Jahr mit einer Eins vor dem Komma draußen vor der Tür stehen und im nächsten plötzlich mit einer Drei vor dem Komma sofort eine Planstelle bekommen."

Allein fürs Gymnasium müssten jährlich mindestens 300 Stellen geschaffen werden, um solche Fehler zu vermeiden, sagt der Philologenchef. Darüber hinaus fordert er, beurlaubte und pensionierte Lehrer in den Schuldienst zurückzuholen. Außerdem sollten Rückkehrangebote für weibliche Pädagogen gemacht werden, die nach der Geburt ihrer Kinder zu Hause blieben.

© SZ vom 18.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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