Lehrer:Die Job-Allergie

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In Deutschland sind besonders viele Lehrer im falschen Beruf.

jup

(SZ vom 10.5.2003) Wenn eine OP-Schwester kein Blut sehen kann, gilt sie als unprofessionell. Wenn ein Polizist aus Angst vor Verbrechern in Duldungsstarre verfällt, hat er den falschen Beruf ergriffen. Doch was ist mit Lehrern, die auf Fragen von Schülern allergisch reagieren oder im Klassenzimmer depressiv werden?

Deprimierendes Ergebnis

"Der Umgang mit beruflichen Stressoren gehört zu den Fähigkeiten, die Bestandteil der Professionalität in jedem Beruf sind", meint der Berliner Bildungsforscher Dieter Lenzen. Er hat sich mit der Eignung deutscher Lehrer für ihren Job beschäftigt und kommt zu dem deprimierenden Ergebnis, dass sich in dieser Berufsgruppe besonders viele Menschen chronisch überfordert und gestresst fühlen.

Die "Tatsache fehlender Stress-Resistenz" unter Lehrern bezeichnete Lenzen als Folge mangelnder Professionalität. In Deutschland fehle ein Verfahren zur Prüfung der beruflichen Eignung. In Finnland etwa müsse jeder Lehramtsbewerber vor Studienbeginn eine Eignungsprüfung bestehen. Auch gäbe es bei Pädagogen keine kontinuierliche Überprüfung der Berufsfähigkeit.

Vergleiche man Lehrer mit Piloten, "würde dies bedeuten, dass Interkontinentalflüge mit Strahlflugzeugen heute noch von älteren Herren und Damen mit einer Fluglizenz für Propellerflugzeuge durchgeführt würden". In der Mai-Ausgabe der Zeitschrift Universitas entwirft der Pädagogikprofessor daher ein "Anforderungsprofil des professionellen Lehrers".

Falsche Vorstellungen

Viele angehende Lehrer machten sich falsche Vorstellungen von ihrem Beruf, so die Analyse. So wählten insbesondere künftige Gymnasiallehrer ihr Fach aus fachlichem Spezialinteresse, nicht aus Neigung zum Lehren. "Die spätere Tätigkeit als Lehrer, die zu einem erheblichen Teil aus Erziehungsaufgaben und Organisation, aber auch aus zum Teil mühseligen Wiederholungen besteht, wird systematisch ausgeblendet."

Das Studium bereite kaum auf den Pädagogen-Job vor, meint Lenzen, der auch Vizepräsident der Freien Universität Berlin ist. Abgesehen von marginalen Unterrichtspraktika, die nicht unter Ernstbedingungen, sondern unter Aufsicht stattfänden, gäbe es keine Begegnung mit der "belastungsintensiven Berufstätigkeit".

Die Folge: Jeder zweite deutsche Lehrer geht aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Pension. Fast die Hälfte der dienstunfähigen Pädagogen nennt als Ursache psychische Erkrankungen.

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