Kontroverse um Friedrich Flick:Kriegsverbrecher als Vorbild

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Die Stadt Kreuztal im Siegerland diskutiert die Umbenennung ihres Friedrich-Flick-Gymnasiums: eine Debatte zwischen Vergangenheitsbewältigung und Schlussstrich-Mentalität.

D. Graalmann

Friedrich Flick hat seine Herkunft stets betont, die Heimat Kreuztal im Siegerland, in der er aufwuchs und in der die Keimzelle seines wirtschaftlichen Aufschwungs liegt. Er ist ein Sohn der Stadt, Kreuztal also die geliebte Mutter. Und welche Mutter verstößt schon ihren Sohn, gleich welcher Taten er schuldig ist? In den Nürnberger Folgeprozessen wurde Friedrich Flick im Dezember 1947 als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt, drei Jahre später wurde er vorzeitig entlassen. Die Stadt Kreuztal leidet noch heute an Flick, derzeit stärker denn je. Gerade wieder wird erbittert über eine Umbenennung der städtischen Schule gestritten, die Friedrich-Flick-Gymnasium heißt.

Friedrich Flick: Der Kriegsverbrecher und Nazi-Kollaborateur spendete in seiner Heimatsstadt gegen das schlechte Gewissen. (Foto: Foto: dpa)

Es ist eine Geschichte von Vergangenheitsbewältigung, schmerzlicher Erinnerung und Schlussstrich-Mentalität. Es tobt ein Kampf zwischen Leuten, die sich gegenseitig vorwerfen "ewig gestrig" oder "linke Chaoten" zu sein.

Seit vier Jahrzehnten trägt die Schule in Kreuztal diesen Namen. Flick hatte den Bau im Jahr 1969 durch eine Spende von damals drei Millionen Mark erst möglich gemacht, zudem eine kleine Stiftung gegründet, mit deren Erträgen Schüler auch heute noch gefördert werden. Die Schule war nicht der einzige Profiteur der Flickschen Heimatliebe, immer wieder floss Flicks Kapital in Projekte und Vereine. "Da wurden Wohltaten nach allen Seiten hin verteilt", sagt Bürgermeister Rudolf Biermann (CDU). Gute Taten gegen das schlechte Gewissen?

"Der größte Profiteur der NS-Zeit"

Über den Namen der Schule war schon 1988 heftig gestritten worden. Ein Antrag der Grünen auf Umbenennung würde damals in geheimer Abstimmung abgeschmettert, die Sozialdemokraten hatten ihre anfängliche Unterstützung für die Umbenennung nicht durchgehalten. Vielleicht war die Stadt damals einfach noch nicht so weit. Nach 20 Jahren aber ist die Debatte neu entflammt. Verantwortlich dafür sind zwei ehemalige Schüler des Gymnasiums, Patrick Fick und Oliver Hirsch. Sie riefen die Initiative "Flick-ist-kein-Vorbild" ins Leben, stellten eine entsprechende Homepage ins Internet und sammeln Unterstützer für die Umbenennung. "Friedrich Flick taugt nicht als pädagogisches Vorbild", sagt Patrick Fick. Er spricht vom "größten Profiteur der NS-Zeit", einem "Opportunisten der jeweiligen Verhältnisse". Fick verweist auf neue Erkenntnisse: Jüngst hat eine Studie im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte die Rolle Flicks in der NS-Zeit kritisch gewürdigt. Er habe, so das Fazit, aufs Heftigste kollaboriert und wirtschaftlich profitiert wie kaum ein Zweiter. Diese Argumente sind für Patrick Fick das einzig Entscheidende. Kennengelernt hat er den Industriellen nie. Als Fick 1982 geboren wurde, war Flick schon zehn Jahre tot.

Hier setzen Menschen wie Werner Müller an. Herr Müller ist Fraktionschef der CDU im Kreuztaler Stadtrat - gegen den Willen seiner Fraktion kann in Kreuztal nichts entschieden werden. Der Politiker wehrt sich mit Kräften gegen eine Umbenennung. Anfang September schrieb Müller einen erbosten Leserbrief an die örtliche Presse. Die Menschen, schrieb er, "können sehr wohl Vergeben und Vergessen unterscheiden. Vergeben, weil endlich Schluss sein muss mit der sogenannten Aufarbeitung der Geschichte zu Lasten von Menschen, deren Schuld längst aufgearbeitet und abgebüßt wurde".

Schaden von der Stadt abwenden

Bürgermeister Biermann, 66, ist Müllers Parteifreund. Er spricht über den "typischen Charakter des Siegerländers, für den Dankbarkeit und Treue hohe Werte sind". Er weiß also, woher diese Beharrlichkeit kommt. Akzeptieren will er sie aber nicht mehr. Wie so viele. Im Stadtrat haben sich Grüne, SPD und FDP inzwischen für eine Namensänderung ausgesprochen, jüngst bat das Lehrerkollegium des Gymnasiums mehrheitlich den Bürgermeister darum, sie "von der Bürde des Namens zu befreien".

Seit ein paar Tagen hat sich Biermann festgelegt: "Der pädagogische Anspruch einer Schule verträgt sich nicht mit dem Namen eines Kriegsverbrechers." Er habe, so Biermann, den Amtseid geleistet, Schaden von der Stadt abzuwenden. "Und wenn ich merke, dass Kreuztal in den Ruf eines braunen Sumpfes kommt, muss ich handeln." Kreuztal drohte zum Chiffre zu werden für die deutsche Unfähigkeit, mit der eigenen Geschichte angemessen umzugehen. Fernsehteams aus Polen und der Ukraine sind nach Kreuztal gereist - eben aus den Ländern ehemaliger Zwangsarbeiter des Flick-Konzerns. Er habe "deren Fassungslosigkeit, deren massive Betroffenheit gespürt", sagt Biermann.

Jetzt will er eine Lösung. Möglichst schnell. Biermann hat den Flick-Vermögensverwalter angeschrieben, um zu klären, ob man womöglich eine Rückerstattung der Stiftungsgelder verlangen würde. Er könne sich das zwar nicht vorstellen, sagt Biermann. Aber es ist eben die letzte Argumentenpatrone der Namensbefürworter. Wenn die entschärft ist, soll Ende 2008 im Rat über eine Umbenennung abgestimmt werden. Biermann hofft nach vielen Gesprächen, gerade in der CDU, darauf, dass es eine Zweidrittelmehrheit für sein Bestreben gibt. Er wünscht es sich als Zeichen. Wenn es nach ihm geht, so soll die Schule danach Städtisches Gymnasium heißen. Das ist wenigstens unverfänglich. Biermann sagt: "Ich möchte das Thema endlich beenden."

© SZ vom 29.09.2008/gut - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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