Kommentar:Wer was studieren darf

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Um aus der Krise zu kommen, brauchen Deutschlands Hochschulen zwei große Freiheiten: Sie müssen sich erstens ihre Studenten selber aussuchen und zweitens Studiengebühren erheben können.

Marco Finetti

So sieht es der deutschstämmige Gerhard Casper, der es in den USA zum Präsidenten der Stanford University gebracht hat und weltweit einer der gefragtesten Ratgeber zur Hochschulreform ist. Nicht nur aus seiner Sicht waren die deutschen Hochschulen in den vergangenen Jahrzehnten unfrei. Nun werden sie langsam in die Freiheit entlassen.

Die Studiengebühren: Neun lange Monate sind vergangen, seit das Bundesverfassungsgericht den Ländern erlaubte, die Hochschüler an den Kosten ihrer akademischen Ausbildung zu beteiligen. Nun legt erstmals ein Bundesland - Baden-Württemberg - einen konkreten Gesetzentwurf dazu vor; andere wollen folgen. Zwar sind viele Fragen noch unbeantwortet, nicht zuletzt die drängendste, wie die Gebühren durch Stipendien sozial abgefedert werden sollen, auf dass sie tatsächlich niemanden vom Studium abhalten. Doch fest steht: Der Großteil der knapp zwei Millionen Studenten muss demnächst für sein Studium bezahlen.

Durchwinken an Hochschulen

Wer aber darf was studieren? Was muss er oder sie dazu mitbringen? Und wer entscheidet über beides? Das sind die Fragen, die sich mit der anderen großen Freiheit verbinden, die Gerhard Casper im Munde führte: dem Auswahlrecht der Hochschulen. Auch diese Fragen und damit der gesamte Hochschulzugang wurden lange nicht thematisiert. Der Zugang zur akademischen Bildung und damit zumeist auch zu besseren Berufs- und Lebensperspektiven, vollzieht sich bislang nach zwei Mustern: dem der absoluten Freiheit und dem der absoluten Unfreiheit. In den meisten Studienfächern kann, wer immer dies will, sich einfach einschreiben. Als Eintrittskarte in die Welt der Germanisten, Maschinenbauer oder Chemiker genügt das Abitur oder die Fachhochschulreife. Interesse wird unterstellt, aber nicht überprüft; nach der Befähigung wird nicht gefragt, ebenso wenig, ob sie sich an der auserwählten Hochschule überhaupt entfalten kann.

Dieses Durchwinken hat zur Überfüllung der Hochschulen beigetragen. Es hat viele gescheiterte Bildungsbiografien produziert und Milliarden Steuergelder verschleudert. In den besonders begehrten Fächern dagegen regiert nicht der Wildwuchs, sondern der staatliche Dirigismus. Wer Medizin, Biologie oder Psychologie studieren will, muss dazu nicht unbedingt befähigt sein; er muss den Numerus clausus der zentralen Studienplatzvergabe, der ZVS, knacken. Wer was wann wo studieren darf, entscheidet allein die Abiturnote. In beiden Fällen sind die Hochschulen außen vor. Klaus Landfried, der ehemalige Chef der Rektorenkonferenz, bemerkte deshalb sogar einmal, es gebe in Deutschland nur zwei Anstalten, die sich ihre Insassen nicht selber aussuchen könnten: die Gefängnisse und eben die Hochschulen.

Doch auch hier ändern sich die Dinge. Für das anstehende Wintersemester können die Hochschulen erstmals in größerem Umfang Studenten in eigener Regie auswählen. Immerhin sechzig Prozent der Studienplätze in den Numerus-clausus-Fächern können nach dem neuen Auswahlverfahren vergeben werden, auf das sich Länder und Bund, Rot-Grün und Schwarz-Gelb in selten gewordener bildungspolitischer Eintracht geeinigt haben. Mitten in den Semesterferien finden nun die Auswahltests und -gespräche statt, in denen die Bewerber ihre Neigung und Eignung beweisen können.

Eingangsprüfungen und Auswahlgespräche

An die neue Regelung knüpfen sich zurecht große Hoffnungen. Es ist überfällig, das Abitur nicht mehr als alleinigen Ausweis der Studierfähigkeit zu nehmen. Gute schulische Vorbildung ist für den Studienerfolg wichtig, mindestens ebenso wichtig aber sind die Zuneigung zum Fach, bereits vorhandene praktische Erfahrungen und soziale Fähigkeiten. All das, was sich in der Abiturnote nicht erfassen lässt, wird nun stärker gewichtet. Manch einer, der bei der ZVS chancenlos wäre, wird nun seinen Studienplatz erhalten.

Eingangsprüfungen und Auswahlgespräche versprechen zudem höheren Erfolg und kürzere Studienzeiten. Wer diese Hürden genommen hat, von dem darf angenommen werden, dass er sein Studium ernst nimmt. Er muss freilich auch ernst genommen, sprich: besser betreut werden - erst recht, wenn er dafür demnächst Gebühren zahlen muss. Und wenn es die besten Bewerber tatsächlich zu den besten Unis zieht, beschleunigt das sogar den Wettbewerb unter den Hochschulen. Vieles ist also im Fluss. Noch aber können die Universitäten die neue Freiheit nicht richtig nutzen. Diese überfordert sie vielmehr. Auch für Auswahlgespräche und Eingangsprüfungen fehlt es den meisten schlicht an Personal und Geld. Eben deshalb - und nicht etwa, weil sie die zusätzliche Arbeit scheuen - macht zum Start nur etwa jede dritte Uni vom neuen Auswahlrecht Gebrauch.

Wer wirklich will, dass das Auswahlrecht Erfolg hat und Qualifikation und Leistung über den Zugang zur höheren Bildung entscheiden, der müsste dafür zunächst Milliarden in die Hochschulen pumpen. Doch die sind nicht in Sicht, auch nicht nach einem möglichen Regierungswechsel im Bund.

© SZ vom 07.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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