Kommentar:Auf eigene Füße stellen

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Studenten und Schüler sollten möglichst unabhängig von den Eltern gefördert werden.

Marco Finetti

(SZ vom 12.6.2003) Die Lehren, die aus der bundesweiten Überprüfung von mehreren Hunderttausend Bafög-Empfängern zu ziehen sind, scheinen klar. Lehre Nummer eins ist die vom Sozialbetrug in Hörsaal und Klassenzimmer: Offensichtlich gibt es auch unter Studenten und Schülern die verbreitete Mentalität, vom Staat alles zu nehmen, auch wenn es einem nicht zusteht.

Dass zum Beispiel in Berlin in nur einem Jahr mehr als zehn Millionen Euro an Bafög erschwindelt wurden, muss für jeden Verteidiger des Sozialstaates niederschmetternd sein. Angesichts dieses Missbrauchs haben selbst die Datenschützer von Bund und Ländern ihre Bedenken gegen den groß angelegten Datenabgleich zurückgestellt.

Lehre Nummer zwei: Die Ausbildungsförderung ist viel zu kompliziert. Denn noch größer als die Zahl der Bafög-Betrüger ist die Zahl derer, die unwissentlich falsche Angaben gemacht haben, weil sie sich irgendwo zwischen Freibeträgen, eigenem Vermögen, geparkten Eltern-Guthaben, Zinsfreistellungsaufträgen und Zinsen verhedderten.

Bund und Länder mögen es auf den ersten Blick nun also zu Recht dabei bewenden lassen, die Betrüger zur Rechenschaft zu ziehen und - vielleicht - die Antragsprozedur zu vereinfachen. Tatsächlich aber vergeben sie damit eine große Chance. Der Bafög-Skandal sollte Anlass sein, die Ausbildungsförderung grundsätzlich zu reformieren.

Die Förderung reicht nicht

Die rot-grüne Bundesregierung und dort vor allem Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) ist ziemlich stolz auf die Bafög-Reform von 2001. Tatsächlich wurden damals mit Milliarden-Aufwand Freibeträge angehoben und der Kreis der Empfänger ausgeweitet, sodass jetzt wieder deutlich mehr Studenten (400.000) und Schüler (240.000) gefördert werden.

Sein großes Ziel hat das Bafög aber in mehr als 30 Jahren nicht erreicht: wesentlich mehr Kindern aus einkommensschwachen Familien eine bessere Bildung zu ermöglichen. Auch reicht die Förderung noch immer nicht aus, sodass gerade Kinder aus ärmeren Familien oft zusätzlich arbeiten müssen. Und schließlich werden die Bafög-Empfänger - in aller Regel erwachsene Menschen - wie Kinder behandelt und in Abhängigkeit von ihren Eltern gehalten, denn ob jemand gefördert wird oder nicht, hängt vor allem von deren Einkommen ab.

Jede wirkliche Reform muss bei Letzterem beginnen und die Auszubildenden finanziell auf eigene Füße stellen. Studenten und Schüler sollten unabhängig vom Verdienst der Eltern - und von deren Bereitschaft, sie zu unterstützen - gefördert werden. Im Idealfall bekämen sie ein staatlich vorfinanziertes "Studentengehalt", das ihren gesamten Bedarf decken würde und nach dem Eintritt ins Berufsleben ganz oder teilweise zurück gezahlt werden müsste. In Skandinavien gibt es solche Modelle bereits.

Modell mit drei Körben

In Deutschland dürfte ein völlig eltern-unabhängiges Bafög Wunschdenken bleiben; ihm stehen zu viele verfassungs-, steuer- und unterhaltsrechtliche Probleme entgegen. Leichter zu realisieren wäre aber ein Mischmodell, bei dem Schüler und Studenten zumindest eine eigene Grundförderung erhalten.

So könnte zum Beispiel das Kindergeld direkt an die volljährigen Kinder gezahlt werden. Und auch die Steuerersparnis durch Ausbildungsfreibeträge sollte dem Nachwuchs zugute kommen statt den Eltern. Die weitere Förderung könnte abhängig vom Elterneinkommen bleiben und je zur Hälfte als Zuschuss und rückzahlbares Darlehen gewährt werden.

Edelgard Bulmahn und dem Kanzler müsste ein solches Modell bekannt vorkommen. Als die SPD noch in der Opposition war, schrieb sie es sich als "Drei-Körbe-Modell" auf ihre Fahnen. Und als Bulmahn dann Bildungsministerin wurde, wollte sie damit die große Bafög-Reform angehen. Gerhard Schröder aber ließ sie abblitzen - mit der Bemerkung, viele Eltern hätten Kindergeld und Bafög schon für ihr Eigenheim verplant. Es ist an der Zeit, die drei Körbe wieder aus der Schublade zu holen.

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