Die Diskussion spaltet Spielplatzrunden, Freundeskreise, Familien: Krippen sind ein Streitthema, sie werden verteufelt oder idealisiert. Spätestens seitdem die Regierung den Weg für mehr die Krippenplätze für Kinder zwischen 0 und drei Jahren frei gemacht hat, gewann die Debatte über vorschulische Bildung erneut an Fahrt.
Eine Bertelsmann-Studie sagt Bildungseinbußen und deshalb hohe volkswirtschaftliche Verluste voraus, wenn auf Krippen verzichtet werde. Befürworter der häuslichen Betreuung, wie etwa das "Familiennetzwerk", nennen die Untersuchung hingegen unseriöse Propaganda.
Kein Schaden für "Krippenkinder"
Doch was sagen abseits gesellschaftspolitischer oder ökonomischer Argumente und vom Wohl des Kindes ausgehend Wissenschaftler und Erziehungsexperten dazu? "Kaum ein anderes politisches Thema ist so sehr geprägt von den eigenen Erfahrungen wie die Debatte über frühkindliche Betreuung", sagt der Berliner Soziologe Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind. Er hat Expertenrat und Studienergebnisse deshalb gesammelt ("Krippen - fundierter Rat zu einem umstrittenen Thema", Beltz Verlag, 2008). Sein Ergebnis: Ein allgemeingültiges Votum pro oder kontra nicht gibt.
Aber er nennt konkrete Bedingungen, unter denen ein früher Krippenbesuch für ein Kind besonders förderlich oder eher abzulehnen sei. Schaden, so die Summe der Ergebnisse, tragen "Krippenkinder" jedenfalls im Allgemeinen nicht davon und viele profitieren von den vielfältigen Anregungen.
Grundlagen der Diskussion sind für Experten unter anderem die seit 1998 fortgeschriebene US-Studie des NICHD (National Institute of Child Health and Human Development) und eine große australische Studie (Love, 2003) über Qualitätskriterien frühkindlicher Betreuung.
Vor allem in den ersten zwei Lebensjahren sei es für die Entwicklung einer stabilen Bindungsfähigkeit demnach wichtig, dass die Gruppe klein sei und die Betreuungsperson nicht mehrfach wechsele, betont der Entwicklungspsychologe Martin Dornes (Frankfurt/M.).
Entwicklung der Sprach- und Denkfähigkeit
Optimal für diese Zeit: ein Betreuer-Kinder-Schlüssel von 1:3 bis 1:5. Die Grundlagen dafür würden jedoch bereits durch eine sensible und aufmerksame Mutter-Kind-Beziehung im ersten Lebensjahr gelegt - die sei dann ziemlich robust und durch sonstigen Betreuungseinfluss kaum zu verändern. Nur im ungünstigsten Fall, etwa bei einem Verhältnis 1:17, leide auch die Eltern-Kind-Bindung.
Auch was die Entwicklung der Sprach- und Denkfähigkeit angehe, bedeute ein früher Krippenbesuch keine dauerhaften Vor- oder Nachteile, resümiert Dornes. Unterschiede gebe es hier jedoch in der Qualität: Gute Krippen fördern demnach ebenso effektiv wie engagierte Eltern, schlecht ausgestattete Einrichtungen bewirken hier ebenso wie passive Eltern deutlich weniger.
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Stabile Bindung
Nicht so eindeutig sind die Studienaussagen, was die Aggressivitätsentwicklung angeht: So gibt es zumindest in der US- Studie Hinweise darauf, dass vormals Krippen-betreute Jungen im Alter von zwölf Jahren geringfügig aggressiver sind als ihre Altersgenossen. Zu große Krippengruppen und zu häufiger Betreuerwechsel seien hier mögliche Risikofaktoren, so Dornes.
Die Kölner Psychologin und Krippen-Expertin Lieselotte Ahnert betont, dass die Feinfühligkeit der Erzieherin ausschlaggebend für den Aufbau einer stabilen Bindung ist und damit für eine das Kind anregende "Erziehungspartnerschaft". Die Eltern bleiben darin jedoch der zentrale Bezugspunkt und müssen auch helfen, den ereignisreichen Krippenalltag zu verarbeiten, sprich nach den oft üblichen Quengeleien zur Ruhe zu kommen: Das gelinge beruflich eingespannten Eltern vor allem dann, "wenn sie ihre Arbeit als vorteilhaft für sich selbst, das Kind und die Familie ansehen."
Lebenslange Lust am Lernen
Zentral sei, so Maywald, dass nicht länger nur über die Zahl, sondern vor allem über die Qualität der Krippenplätze diskutiert werden müsse. Ein einfaches "Aufstocken" vorhandener Kindergartengruppen reiche da nicht aus, Räumlichkeiten, Gruppengröße und pädagogisches Personal müssten den Bedürfnissen der Allerkleinsten angepasst sein, um vor allem Kindern aus Familien ohne Bildungsanreize einen guten Start in die lebenslange Lust am Lernen zu ermöglichen.
"Für oder gegen Krippenbetreuung kann nur im konkreten Einzelfall entschieden werden", sagt Dornes: "Denn es gibt nicht das Kind, die Krippe, die Tagesmutter, sondern immer dieses Kind, diese Krippe, diese Tagesmutter." Die oft geäußerte Befürchtung, die Familie verliere an Bedeutung und Einfluss, wenn Kinder viele Stunden außerhalb betreut würden, lasse sich jedoch nicht bestätigen. "Die Familie ist nach wie vor die wichtigste Sozialisationsinstanz und trägt die Hauptverantwortung für die in ihr groß werdenden Kinder."