Karrieren in der Wissenschaft:"Viele denken, sie hätten ein Rezept"

Lesezeit: 4 min

Wie man zum Wissenschaftler wird und warum Frauen an Hochschulen seltener Karriere machen als Männer. Ein Interview.

Sandra Beaufays hat untersucht, wie Wissenschaftler in der alltäglichen Praxis der Geschichtswissenschaften und der Biochemie "gemacht werden". Nicola Holzapfel sprach mit der Soziologin über Karrieren an deutschen Hochschulen.

sueddeutsche.de: Ist Wissenschaftler ein Beruf wie jeder andere auch?

Sandra Beaufays: Für Wissenschaftler gehört es zum Selbstverständnis, dass es kein Beruf ist, sondern eine Lebenseinstellung.

Von außen betrachtet, muss man die Frage natürlich bejahen. Aber es ist ein Beruf, mit dem sehr viele Privilegien einhergehen. Man hat damit sehr viele Chancen und ist bestimmten Repressionen - wie in der Wirtschaft - nicht so sehr unterworfen. Das halte ich übrigens auch für unbedingt notwendig, Forschung ist kein absolut kalkulierbarer Prozess, bei dem man Anfang und Endpunkt genau bestimmen könnte.

Wobei sich die Voraussetzungen hier gerade massiv ändern. Viele Wissenschaftler bleiben heute im Drittmittelbereich hängen und müssen dann alle zwei Jahre sehen, wo sie das Geld wieder herkriegen. Aber wenn man eine Professur erreicht und von dort aus forscht und arbeitet, ist das sicherlich eine sehr privilegierte Position, von der aus man einiges machen kann.

sueddeutsche.de: Ist eine wissenschaftliche Karriere planbar?

Beaufays: Die Art von Karriereplanung, wie sie in der privaten Wirtschaft vorherrscht, die Vorstellung, es gibt rationale Wege nach oben, findet sich in der Wissenschaft sehr selten.

Hier herrscht meist die Idee vor, dass ein Wissenschaftler einfach begeistert ist von dem, was er tut. Dass er "Forscherdrang" verspürt - und nicht nur Strategien fährt.

Viele denken, sie hätten ein Rezept. Viel entscheidender sind jedoch bestimmte soziale Praktiken, die alle Akteure im wissenschaftlichen Feld als selbstverständlich betrachten. Und diese besondere Praxis funktioniert an sich schon als Selektionsmechanismus, denn nicht jeder kann hier ohne weiteres teilnehmen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt dann die Leistung?

Beaufays: Leistung existiert nicht ohne Leistungsbewertung. Sie kommt auch nicht zustande ohne Ressourcen und Mittel. Leistung wird nicht wahrgenommen, wenn man sich ins stille Kämmerlein zurückzieht und irgendetwas macht. Sie muss erst von anderen - und zwar von bereits etablierten Wissenschaftlern - einer Person zugeschrieben werden. Das ist immer ein sozialer Prozess, innerhalb dessen Leistung überhaupt sichtbar wird. Und erst dadurch wird eine Studentin oder ein Student zu einer gefragten Nachwuchskraft.

Aber wem werden welche Leistungen zugeschrieben und von wem? Das ist eine Frage der Beziehung zwischen Mentoren und Mentees. Dieses Verhältnis - jedenfalls an einer deutschen Hochschule, wo die Nachwuchswissenschaftler noch nicht auf sich allein gestellt sind - ist ein Vertrauensverhältnis. Vertrauen entsteht vor allem dann, wenn sich Leute auf Grund ihrer sozialen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer Arbeitseinstellung sehr ähnlich sind.

Diese Ähnlichkeiten führen erst dazu, dass Leistungen bei anderen überhaupt gesehen und zugeschrieben werden.

sueddeutsche.de: Und wenn die Leistung nicht erkannt wird?

Beaufays: Es kann passieren, dass man übersehen wird. Da können Sie als Wissenschaftler noch so viel ackern, es muss gesehen werden, dass das einen Effekt hat, was Sie tun.

Und da gibt es unter den Professoren schon Unterschiede in der Bewertung. Sie sehen andere Dinge und werden auf andere Formen von Präsentation aufmerksam. Während ein Professor vielleicht diejenigen ignoriert, die aus jeder Mücke einen Elefanten machen, achten andere Profs sehr stark darauf, ob sich Nachwuchswissenschaftler präsentieren können und bestimmte fachliche Standards auch in der Darstellung nach außen umsetzen.

sueddeutsche.de: Warum machen denn so wenige Frauen in der Wissenschaft Karriere?

Beaufays: In der Wissenschaft beziehen sich Männer auf Männer. Das Feld wird von Männern dominiert. Da spielen ganz feine, auch fachkulturelle Selbstverständlichkeiten mit, die mit Zuschreibung von Geschlecht zu tun haben. Der Prozess, in dem Wissenschaftler zu Wissenschaftlern werden, ist nicht frei von Geschlechtskonstruktionen, wie sie ja auch sonst im Alltag existieren.

Es gibt Frauen gegenüber ein wesentlich größeres Misstrauen, ob sie den Herausforderungen der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt gewachsen sind. Das hängt nicht mit ihren Leistungen zusammen, sondern mit der wissenschaftlichem Lebensform und dem Glauben daran.

Aber dass Frauen-Karrieren möglich sind, zeigen die Wissenschaftlerinnen, die erfolgreich sind und gute Positionen einnehmen und noch mehr Frauen akquirieren.

sueddeutsche.de: Ändern sich die Strukturen dadurch?

Beaufays: Es sind häufig Frauen, die Dinge von außen an die Wissenschaft herantragen. Wenn sie zum Beispiel sagen: "Ich habe ein Kind. Ich stehe an bestimmten Abenden nicht zur Verfügung" - dann fällt das auf. Sie durchbrechen damit den geteilten Mythos, dass es neben der Wissenschaft keine anderen wichtigen Lebensbereiche geben darf. Wenn dies plötzlich in Frage gestellt wird, dann stimmt da irgendetwas nicht mehr. Dann kommt schnell die Reaktion auf: "Gehören diejenigen, die solche Fragen stellen, überhaupt hier zum Spiel dazu?"

In meiner Untersuchung konnte ich feststellen, dass Frauen nach der Promotion eher von solchen Professoren und Professorinnen weiter gefördert werden, die dem traditionellen Bild vom Wissenschaftler wenig Bedeutung zumessen. Häufig stellten sie sich selbst als jemand dar, der in "kritischer Distanz" zu diesem Bild geprägt wurde. Diese Form der Selbstreflexivität tut sicherlich auch der Forschung gut - und birgt vielleicht sogar innovative Potentiale, die bisher nicht selten verloren gehen

sueddeutsche.de: Wenn es also vom Einzelnen abhängt, dann bringt institutionalisierte Frauenförderung wohl nichts?

Beaufays: Nein, das würde ich nicht sagen. Man muss natürlich überlegen, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Es ist zwar sehr praktisch, wenn die Druckkosten einer Dissertation aus dem Budget der Frauenbeauftragten bezahlt werden, aber es hilft sicherlich nicht, dass mehr Frauen Professorinnen werden.

Frauen gelangen häufig über andere Mittel und Wege an die Hochschulen und brauchen etwas länger dafür als ihre männlichen Kollegen.

Wissenschaftlerinnen, die weiter gekommen sind, haben häufig außeruniversitäre Netzwerke, die ihnen geholfen haben, oder akademische Netzwerke, die zum Beispiel mit der ersten universitären Frauenbewegung zu tun haben, wo also Frauen Frauen unterstützen.

Frauenförderung hat für viele Wissenschaftlerinnen etwas Anrüchiges. Sie denken: "Ich will nicht gefördert werden, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich gute Arbeit mache". Dabei ist es doch wichtig, erst einmal reinzukommen.

Unter Frauenförderung verstehe ich, Wissenschaftlerinnen geradlinigere Wege in ihren Beruf zu ermöglichen, Maßnahmen bereitzustellen, die ihre selbständige Arbeitsweise unterstützen, Altersbeschränkungen nicht rigide zu handhaben und unbefristete Stellen an Hochschulen zu schaffen.

(sueddeutsche.de)

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