Juristen:Nachhilfe in Managerticks

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Weil Wirtschaft im Jurastudium zu kurz kommt, schicken große Kanzleien ihren Nachwuchs zur Nachhilfe. Dort sollen sie lernen, wie Manager ticken.

Christine Demmer

Neun Tage Wirtschaft am Stück - das ist selbst für einen paukerprobten Juristen ziemlich starker Tobak. Umso erfreulicher, dass der trockene Stoff in einer hübschen Umgebung serviert wird. Während des Unterrichts in der "Freshfields Summer School in Management" können die jungen Anwälte hin und wieder aus dem Panoramafenster auf den Zürichsee linsen. Um sich dann aber sofort wieder das Ziel der Übung in Leadership, Organisation oder Business Engineering vor Augen zu führen: "Ich verstehe jetzt viele Dinge besser als vor dem Kurs", sagt Christian Krohs, "mir ist klar geworden, warum die Mandanten welche Ziele verfolgen. Das macht mich im Umgang mit ihnen sicherer."

Juristen müssen nicht nur das Grundgesetz kennen, sondern auch die Grundzüge der Wirtschaft verstehen. (Foto: Foto: dpa)

Volljurist Krohs ist erst 35 Jahre alt, aber mit seinen fünf Berufsjahren ist er bei Deutschlands größter Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer schon ein Senior. Im besten Alter mithin, um auf den gemeinsam mit der Hochschule St. Gallen entworfenen und betreuten Management-Lehrgang entsandt zu werden. Mit ihm drückten im vergangenen Juli zwei Dutzend Kollegen die Schulbank. Sie wollten nicht etwa den Wissensvorsprung der Betriebswirte und Diplom-Kaufleute komplett aufholen, sondern in Grundzügen verstehen, wie Unternehmer und Manager ticken.

Mehr als angewandte Kundenorientierung

In der Wirtschaft spielen Juristen nämlich eine große Rolle. Auf der Bühne - mehr als die Hälfte der Vorstände deutscher Aktiengesellschaften hat Jura studiert - und hinter der Bühne, zum Beispiel als Berater bei Firmenübernahmen oder als Souffleur des CEO bei Hauptversammlungen. Deshalb ist Wirtschaftswissen viel mehr als angewandte Kundenorientierung. Für Anwälte in Unternehmen und bei Wirtschaftskanzleien ist sie unverzichtbar.

In ihrem Studium sind die Juristen dabei auf sich allein gestellt. "Im typischen Lehrplan von Juristen findet Wirtschaftsausbildung kaum statt", bedauert Professor Joachim Schrey, der bei Clifford Chance für die Associates zuständig ist. Weil es nur wenige Bewerber mit einem Doppelstudium gibt, nehmen alle großen Kanzleien die Sache in die eigenen Hände. Bei Clifford Chance kümmert sich eine "Academy" um die interne Fortbildung des Nachwuchses, bei Baker & McKenzie gleich zwei "Universities" - eine "Inhouse", die andere "Mentorship" genannt. Hauptsächlich, aber nicht nur für Referendare gedacht ist das Programm "Colleagues of Tomorrow" von Linklaters, und auch die größte deutsche Wirtschaftssozietät hat eine interne Trainingsakademie mit Präsenz- und Online-Schulungen ins Leben gerufen. "Wir brauchen die Wirtschaftskompetenz, insbesondere der Transaktionsberatung, für die gesellschafts- und steuerrechtliche Unternehmensbewertung", sagt Matthias Weber, Leiter Personalmarketing bei Rödl & Partner, "selbst die Steuerrechtler werden an der Uni nur rudimentär ausgebildet. Viele setzen deshalb den Fachanwalt für Steuerrecht oder die Steuerberaterprüfung noch obendrauf."

Dankbarkeit auf beiden Seiten

Felix Mühlbauer, seit kurzem Partner bei Clifford Chance, hat sich "on the job" in die Wirtschaft eingearbeitet. Hilfestellung dabei leistete sein Arbeitgeber. Der entsendet nämlich den interessierten Nachwuchs für längere Zeit in die Rechtsabteilung oder in eine operative Einheit von Mandanten. Zwei Monate lang hospitierte Mühlhäuser bei JP Morgan in London, ein Jahr lang dauerte sein "Secondment" bei Goldman Sachs in Frankfurt. "Die Tätigkeit in einer Geschäftsabteilung ist interessanter", meint der Jurist, "weil man da direkt sieht und versteht, was der Mandant braucht."

Wer in dieser Zeit das Gehalt des Anwalts zahlt, wird auf dem Verhandlungswege geklärt. Fest steht aber, so Joachim Schrey: "Die Mandanten fragen nach Secondees. Sie holen sich auf diese Weise hochspezialisierte Expertise ins Haus und entwickeln in der Zusammenarbeit eine enge Beziehung zum Berater." Es käme vor, dass ein Gesandter anschließend die Seiten wechselt, bedauert Schrey. Doch was soll's: "Die Zementierung dieser Brückenfunktion erzeugt Dankbarkeit auf beiden Seiten."

Auch das Fortbildungsprogramm von Linklaters für die dort angestellten Referendare verfolgt nicht ganz uneigennützige Ziele. Neben Vorträgen und Workshops zu wirtschaftlich relevanten Themen simulieren die angehenden Anwälte unter fachkundiger Anleitung Hauptversammlungen und Übernahmeverhandlungen. "Nachdem sich Käufer- und Verkäufer-Team getrennt voneinander eine Strategie zurechtgelegt haben, schlüpfen sie in die Rolle des Managers oder Wirtschaftsanwalts und spielen deren Part", sagt Recruiting-Chefin Christiane Nißl. Dabei übe sich der Nachwuchs nicht nur in wirtschaftlichen Dingen, sondern auch in Verhandlungsführung, was an der Uni nicht geboten werde. Das finden Referendare gut, deshalb finden viele auch die Kanzlei gut. Jeder dritte der mehr als 300 Linklaters-Anwälte ist über das hauseigene Programm auf den Geschmack gekommen.

Auf der nächsten Seite: Warum Juristen nicht nur als Paragrafenhengste, sondern als rechtskundige Wirtschaftsberater akzeptiert werden.

Interviewtraining und Legal Writing

Noch früher, nämlich schon bei Studenten ab dem fünften Semester, setzt die "Mentorship University" von Baker & McKenzie an. Jeden zweiten Monat findet eine Veranstaltung statt: "Interviewtraining", "Legal Writing", "Einführung in die Transaktionspraxis" oder "Internationale Schiedsgerichtsbarkeit" heißen die Themen. Geladen sind ausgewählte Studenten, getrommelt wird dafür an den juristischen Fakultäten der Hochschulen. "Von 300 Bewerbern haben wir die 30 besten genommen", sagt Hiring-Partner Axel Hamm. Wenn aus den Studenten Mitarbeiter geworden sind, steht ihnen die "Inhouse University" mit Vorträgen und Workshops offen. Sie ist ein fester Bestandteil des Ausbildungsplans für die Associates.

Lovells hingegen schickt seine High Potentials lieber an die private Business School ESMT nach Berlin und zur Ashridge Business School nach England. "Dort lernen sie über anderthalb Jahre verteilt an dreimal drei Tagen das Wesentliche über Leadership, Strategieentwicklung, Business Development und Team Management", erklärt Personalpartner Christoph Hilti. In den Genuss dieses Trainings kommen die Juristen aber erst nach drei Berufsjahren, wenn sie die erste Karrierestufe erklommen haben. "Wir sagen zu den jungen Kollegen: Schwimmt euch erst mal fachlich frei und kommt zu den richtigen juristischen Ergebnissen. Wenn sie Senior Associates geworden sind, ist die Zeit für die unternehmerischen Tugenden gekommen. Die stärken wir dann sehr gezielt."

Nicht nur Paragrafenhengste

Mitarbeiter Frank Müller liefert den Beweis. Der auf Immobilienrecht spezialisierte Anwalt studiert nebenberuflich an der Immobilienakademie der Uni Regensburg und strebt nach dem "perfekten wirtschaftlichen Fundament für meinen Beruf". Lovells hat das für gut befunden und spendiert einen Kostenzuschuss und Freistellungszeit.

Bei Müller wie bei anderen ehrgeizigen Juristen ist das Aufatmen nach dem zweiten Staatsexamen also nur von kurzer Dauer. Sie müssen noch viel dazulernen, wenn sie von ihren Mandanten nicht nur als Paragrafenhengste, sondern als rechtskundige Wirtschaftsberater akzeptiert werden wollen. Und vor allem: Sie brauchen ein Gespür dafür, warum sich Unternehmer und Manager welche Ziele setzen, wie sie ihre Strategien verfolgen, was sie einen Erfolg nennen und was ihre Aktionäre ein Desaster. Ein Paukstudium schafft dafür nur die Grundlagen. Nach den neun "Academy"-Tagen am Zürichsee wird Freshfields-Anwalt Christian Krohs schon eher wissen, worauf er sich eingelassen hat.

© SZ vom 04.10.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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