Jobs bei der EU:Kampf um den Fensterplatz

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In Brüssel warten schöne und lukrative Jobs - aber deutsche Bewerber sind Mangelware.

Cornelia Bolesch

(SZ vom 02. Februar 2001) Brüssel - Wer Beamter in der Europäischen Kommission werden will, der muss erst einmal einen Berg von Fragen beantworten. Zum Beispiel: "Was besagt der Grundsatz der Einheit des Gemeinschaftshaushalts?", oder: "Über welches Finanzierungsinstrument werden keine Umweltschutzvorhaben unterstützt?"

Deutsche Europamuffel?

Neun Zehntel der Bewerber sind 1998 bereits an dieser ersten Hürde auf dem Weg in die EU-Zentrale gescheitert, obwohl sie immerhin jeweils vier Antworten zur Auswahl hatten.

Nach dem Fragebogen folgen eine schriftliche und eine mündliche Prüfung. Damit ist der "Concours" komplett, jenes Auswahlverfahren, mit dem die Brüsseler Behörde aus der ganzen Europäischen Union neue Beamte rekrutiert. 1998 haben sich 16 000 Männer und Frauen auf 469 freie Stellen beworben. Während das offenbar europabegeisterte Italien gleich 30 Prozent der Prüflinge stellte, kamen nur zehn Prozent der Bewerber aus Deutschland, dem größten EU-Mitgliedsland.

Sind die Deutschen Europamuffel? Schreckt sie das Wort "EU-Kommission" , weil sie darin einen Hort der Misswirtschaft vermuten? Oder wissen sie einfach zu wenig über die Möglichkeiten, in Brüssel für die EU zu arbeiten? Das Auswärtige Amt in Berlin und seine Ständige Vertretung in Brüssel jedenfalls wollen diesmal alles tun, um in Deutschland das Interesse für den Brüsseler "Concours" zu mobilisieren. Vorbereitungskurse sollen deutsche Bewerber fit machen für die multikulturelle Prüfungssituation. Dutzende von Briefen hat das Außenministerium bereits an Universitäten, politische Stiftungen und nicht zuletzt an den Deutschen Frauenrat geschickt - im Höheren Dienst der EU-Kommission sind Frauen nur mit einem Anteil von 20 Prozent vertreten. Für diese gehobenen Posten finden in diesem Jahr gleich mehrere Auswahlverfahren statt.

Angst vor der Osteuropa-Quote

Die Kommission unter Romano Prodi hat von den europäischen Regierungen 400 neue Stellen bewilligt bekommen und die sollen jetzt so schnell wie möglich besetzt werden.

Fachleute in bisher unterschätzten Bereichen werden gebraucht für das ehrgeizige Ziel, aus dem Brüsseler Apparat das "modernste Management" der Welt zu machen. Und die Strategen in den nationalen Regierungen befällt angesichts des Brüsseler Tempos plötzlich Torschluss-Stimmung. In den diesjährigen Ausschreibungen sehen sie die "letzte Chance" für ihre jeweiligen Landsleute, noch zu den alten Bedingungen einen der Posten in Brüssel zu ergattern. Neue Ausschreibungen wird es voraussichtlich erst in einer erweiterten EU geben. Dann haben aber auch die mittel- und osteuropäischen Länder Anspruch auf eine Beamten-Quote.

Die Kommission sucht Fachleute im Bereich Steuern und Zollunion, Finanzkontrolle und Außenpolitik, aber auch für Justiz und Inneres, Umwelt, Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Wer sich beteiligen will, muss die Staatsangehörigkeit eines EU-Landes haben und außer seiner Muttersprache eine weitere EU-Sprache beherrschen. Verlangt werden ein Hochschulabschluss und, je nach angestrebter Position, drei oder 12 Jahre Berufserfahrung.

Neuer Stil in Prodi-Kommission

Die schriftliche Prüfung, bei der es um die "fachlichen und analytischen" Fähigkeiten der Kandidaten geht, findet gleichzeitig in allen Mitgliedsländern statt.

Von einem "logistischen Kraftakt", spricht die deutsche Ständige Vertretung in Brüssel. Alles soll diesmal perfekt laufen. Der Kommission sitzt noch die Blamage des 1998-Concours im Nacken, als die Prüfungen teilweise annulliert werden musten, weil es Mauscheleien gab und Testfragen vorab bekannt geworden waren. Die letzte Etappe - die mündliche Prüfung - findet dann in Brüssel statt. Auch dafür bietet das Auswärtige Amt ein Training an.

Zum "neuen Stil" der Prodi-Kommission gehört es, dass nationale Seilschaften gekappt und neue Stellen in der Kommission - abgesehen von den Zugeständnissen an neue EU-Mitglieder - nur noch nach Qualifikation besetzt werden sollen. Doch natürlich gilt in der Kommission, dem Herzstück der Europäischen Union, auch das Prinzip der "geografischen Ausgewogenheit", über das alle EU-Mitglieder eifersüchtig wachen, vor allem auf der obersten Etage, die nicht durch "Concours", sondern mit gezielter Personalpolitik besetzt wird. Zurzeit gibt es acht deutsche Generaldirektoren. "Uns steht also noch einer zu", heißt es lapidar in der Ständigen Vertretung.

Multikulturelles Beamten-Biotop

Unter dieser Ebene, im höheren Dienst der Kommission, stellt Deutschland mit 12,6 Prozent der Beamten hinter Frankreich (14,7 Prozent) den höchsten Anteil am Personal. Doch gemessen an der Bevölkerungszahl sieht die deutsche Regierung noch "eine große Lücke" klaffen. 80 Millionen Deutsche machen immerhin 22 Prozent der EU-Bevölkerung aus. Der Anteil der deutschen Beamten entspricht also immer noch dem Stand vor der Wiedervereinigung.

Weil es für Ostdeutschland damals keine Quote gab, muss jetzt der "Concours" für die nationale Ausgewogenheit sorgen. Auf die Bewerber warten interessante Posten im einzigen multikulturellen Beamten-Biotop der Welt. Allerdings hat es auch dunkle Winkel. In seinem Buch "Das Räderwerk der Europäischen Kommission" schreibt der frühere Vertreter von Baden-Württemberg in Brüssel, Wolfgang Dietz: "Die Büros sind vielfach sehr klein und müssen nicht selten mit Kollegen geteilt werden. Der Kampf um den Fensterplatz ist ein Bestandteil der Laufbahn."

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