Interview:"Die bessere Qualifikation sticht"

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Der Bachelor als Standardabschluss macht keinen Sinn, meint Hochschulexperte Ulrich Welbers.

Interview: Jan Friedmann

Interview mit Dr. Ulrich Welbers, Leiter des Studienreformbüros Germanistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Herausgeber des 2001 erschienenen Forschungsbandes "Studienreform mit Bachelor und Master".

Literatur Sammelband zur Studienreform (Foto: N/A)

sueddeutsche.de: Kürzere Studienzeiten, weniger Abbrecher, Internationalisierung des Hochschulsystems: Die neuen Abschlüsse Bachelor und Master werden den Studenten als wahre Wunderwaffen verkauft. Was können sie leisten?

Welbers: Die Diskussion weckt unrealistische Erwartungen. Zum Beispiel, dass gestufte Studiengänge automatisch mehr Studierende ins Ausland locken: Da wird sich kaum etwas ändern, so lange es nicht mehr gut ausgestattete Austauschprogramme und Stipendien gibt. Oder dass die Studienzeiten zurückgehen: In einigen Fächern werden gestufte Studiengänge, die hochkomplex sind, eher zum Ansteigen der durchschnittlichen Semesterzahl führen. Oder die Frage der Berufsqualifikation: Bachelor-Abgänger sind gegenüber anderen Absolventen nicht automatisch besser für den Arbeitsmarkt qualifiziert.

sueddeutsche.de: Also lieber alles beim Alten lassen?

Welbers: Auf keinen Fall! Die Lehre ist seit langem reformbedürftig, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Ich unterstütze die Einführung gestufter Studiengänge dann, wenn mit ihnen nicht einfach der Status Quo des Alltags bestätigt wird. Eine inhaltlich durchgreifende Studienreform ist dringend geboten; wenn dies mit gestuften Studiengängen geht, dann bitte. Nur verläuft die Diskussion mitunter in Bahnen, die mit Studienreform im eigentlichen Sinne gar nichts zu tun haben.

sueddeutsche.de: Was läuft falsch?

Welbers: In Deutschland wurde von Anfang an so getan, als müsste der Bachelor der gängige Studienabschluss werden. Dabei wäre es absolut kontraproduktiv, eine bessere Qualifikation - nämlich das Diplom und den Magister - durch einen niedrigeren Abschluss komplett zu ersetzen. Die bessere Qualifikation sticht - das zeigen die Pisa-Studie für die Schulen und verschiedene andere Erhebungen für die Hochschulen. Es ist dann völlig unsinnig, eine niedrigere Ausbildungsstufe für Akademiker zu schaffen, wenn sie nicht Wahl, sondern die Regel ist.

sueddeutsche.de: In den angelsächsischen Ländern verlassen die meisten Absolventen die Universität mit einem Bachelor in der Tasche.

Welbers: Sicherlich, nur stoßen sie dort auf einen völlig anders strukturierten Arbeitsmarkt, in den sie leichter Eingang finden. Der Aufbau der Studiengänge ist eben nicht eins zu eins übertragbar. Im übrigen existiert "das" angelsächsische Modell nur als Chimäre. Weltweit bestehen ungefähr 2.500 verschiedene Studiengangkonzepte nebeneinander. Die Stufung ist ein grobes Rahmenkonzept, mehr nicht. Und auch die einzelnen - national geprägten - Modelle haben ihre spezifischen Schwächen: In den USA wird beispielsweise an verschiedenen Standorten diskutiert, wie man das Studium - auch nach deutschem Vorbild - wissenschaftlicher und mit mehr theoriebezogener Intensität gestalten kann.

sueddeutsche.de: Warum stehen die deutschen Abschlüsse dann in der Kritik?

Welbers: Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist sicher, dass Bildungspolitik in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem Sparpolitik war. Hochschulabsolventen sollen in jüngerem Alter arbeiten, damit sie einerseits in der Ausbildung nicht so viel kosten und andererseits die Verdienst- und Rentenprivilegien weiter finanzieren, die sich die über 50-Jährigen zuvor in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs gesichert haben und nun nicht abgeben wollen.

Diese Denkweise des kalten Missbrauchs des Generationenvertrages bestimmt die ganze Debatte um die Hochschulreform, die im übrigen von genau dieser privilegierten Generation geführt wird. Überlegungen der Bildungsfinanzierung haben sicherlich ihre Berechtigung, nur sollten sie nicht in einem unüberlegten Experiment umgesetzt werden. Den Schaden haben nämlich die Studierenden der Zukunft und letztlich die gesamte Gesellschaft.

sueddeutsche.de: Was können die Bildungspolitiker besser machen?

Welbers: Sie müssen zwei Problemkomplexe mutig angehen, die wesentlich älter sind als die Bachelor-/Master-Diskussion: die Frage nach der ausreichenden Finanzierung der Hochschulen und die Frage der Personalentwicklung des Lehrkörpers. Wie kann mit gut geschultem Personal und angemessenem Aufwand eine qualitätsvolle Hochschullehre gemacht werden? Das ist die zentrale Frage schon seit Humboldts Bildungsreform aus dem Jahre 1810, für die immer wieder Antworten gefunden werden mussten. Die gestuften Studiengänge können dabei als Mittel zum Zweck dienen - mehr sind sie nicht.

sueddeutsche.de: Wie sieht die Zukunft von Bachelor und Master aus?

Welbers: Die Statistik zeigt einen sprunghaften Anstieg der Bachelor- und Master-Studiengänge. Von den insgesamt über 9.000 grundständigen Studienangeboten in Deutschland folgen im Wintersemester 2001/2002 über 1.000 dem gestuften Modell - eine Verdoppelung gegenüber dem vergangenen Jahr. Diese Steigerungsrate und auch die damit verbundene Euphorie werden sich zunächst fortsetzen. Allerdings ziehen bisher vor allem die technischen Studiengänge an Fachhochschulen und die Geisteswissenschaften an den Universitäten mit. Zentrale Fächer wie Jura und Medizin bleiben außen vor, obwohl gerade hier eine Reform dringend angezeigt wäre.

Der Erfolg und damit die Zukunft der gestuften Studiengänge hängt von zwei Faktoren ab. Erstens: Wird die Reform der Abschlüsse zum Motor für längst notwendige Neuerungen an den Hochschulen - verbesserte Beratung der Studierenden, mehr Praxisnähe, Internationalisierung, übersichtliche Studienstrukturen, hochschuldidaktische Weiterbildung der Hochschullehrer. Zweitens: Treffen die Absolventen der neuen Studiengänge auf einen Arbeitsmarkt, in dem sie ihre Qualifikationen wirklich einsetzen können. Was nützt die schönste Strukturreform in Studiengängen, wenn es für Hochschulabgänger keine geeigneten Arbeitsplätze gibt?

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