Interview:"Der Patient wird zum Gegner"

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Über den Arbeitsalltag im Krankenhaus.

Interview: Michael Brendler

(SZ vom 10.9.2003) Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den Bereitschaftsdiensten lässt Ärzte hoffen, dass bald Schluss ist mit Arbeitstagen, die sich bis in den nächsten Morgen ziehen. Der 32-jährigen Stefan Bruck (Name geändert), der seit drei Jahren als Assistenzarzt in der Chirurgie arbeitet, schildert seine Erfahrungen mit den 30-Stunden-Schichten.

SZ: Das Urteil bedeutet, dass die bisher üblichen 30-Stunden-Dienste illegal sind. Was halten Sie davon?

Bruck: Die Entscheidung war überfällig. Die Umstände, unter denen wir arbeiten müssen, sind katastrophal. Besonders jetzt, wo auch noch immer mehr Stellen eingespart werden. Da bei uns eine Assistenzarztstelle nicht mehr besetzt wird, müssen natürlich wir Übriggebliebenen acht auch diese Dienste übernehmen.

SZ: Was genau heißt das?

Bruck: Jeder von uns macht im Durchschnitt zehn Bereitschaftsdienste, sechs wären erlaubt. Das heißt, fünfmal im Monat bleibe ich nach den regulären acht Stunden in der Klinik, bin bis Mitternacht durchgehend in Ambulanz, OP oder auf Station beschäftigt und habe, wenn ich um sechs wieder aufstehe, mit Glück drei Stunden geschlafen. Denn meist werde ich mehrmals rausgeklingelt. Anschließend muss ich noch Visite und Besprechung hinter mich bringen. In den übrigen fünf Diensten werde ich im Notfall von zu Hause her beordert oder es handelt sich um eine 24-Stunden-Schicht am Wochenende.

SZ: Wie fit ist man noch, wenn man so lange arbeitet?

Bruck: Spätestens um Mitternacht habe ich die Nase gestrichen voll. Prinzipiell wird dann jeder Patient erstmal zum Gegner. Am Morgen hat man nach 30 Stunden im Krankenhaus eigentlich Angst, mit dem Auto nach Hause zu fahren. Auch zum Erholen bleibt oft viel zu wenig Zeit. Wenn ich wie letzte Woche Dienstag-, Donnerstag- und Samstag Dienst habe, fühle ich mich am Sonntag vollkommen gerädert, kann aber immer noch in die Klinik gerufen werden. Voll arbeitsfähig bin ich dann auch am Montag noch nicht.

SZ: Nach Ihrer Schilderung muss man eigentlich Angst haben, als Patient nachts ins Krankenhaus zu kommen

Bruck: Ich würde es zwar keinem Freund empfehlen, aber es passiert erstaunlich wenig. Im akuten Notfall wecken einen die Stresshormone wieder auf. Trotzdem, wenn ich einen Patienten um ein Uhr nachts mürrisch in der Ambulanz begrüßen muss, versuche ich natürlich, möglichst schnell fertig zu werden. Da ist das Risiko natürlich vorhanden, dass man etwas falsch einschätzt. Einen lebensgefährlichen Darmdurchbruch etwa als massive Verstopfung fehl zu diagnostizieren und statt sofort zu operieren erst abzuwarten, ist dann schon eher möglich.

SZ: Was genau sollte sich jetzt ihrer Meinung nach ändern?

Bruck: Ich persönlich fände gut, den 24-Stunden-Dienst in drei Schichten aufzuteilen. Ich weiß aber, dass viele Kollegen dagegen sind, weil es sie Geld kostet und die Ausbildungszeit verlängert.

SZ: Glauben sie, dass sich die Situation nun schnell ändern wird?

Bruck: Ich denke, dass mindestens zwei Jahre ins Land ziehen werden und noch mehr Ärzte klagen müssen. Dies werden aber nur wenige wagen, weil wir mit unseren Zeitverträgen extrem von unseren Arbeitgebern abhängig sind. Außerdem fehlt es dafür an Geld und Ärzten. Hauptsache, es tut sich etwas: Bei uns reden wir schon seit einem Jahr mit unserer Klinikleitung über die Zustände - und sind schon froh, dass wir überhaupt diskutieren.

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