Integrationskurse:Betrügereien in privaten Sprachschulen

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Nicht dabei gewesen? Egal: Um staatliche Zuschüsse kassieren zu können, werden bei Integrationskursen die Anwesenheitslisten manipuliert.

Tanjev Schultz

Für einen großen Betrug reicht manchmal ein kleines Kreuz. In privaten Sprachschulen werden offenbar systematisch die Anwesenheitslisten für Integrationskurse manipuliert. Auch wenn Teilnehmer fehlen, werden sie regelmäßig mit einem Kreuz als "anwesend" eingetragen. Das zeigen Recherchen von Report Mainz und der Süddeutschen Zeitung. Die Kurse werden vom Staat gefördert und pro Teilnehmer abgerechnet. Der finanzielle Schaden könnte in die Millionen gehen. Das Bundesinnenministerium kündigte an, die Vorwürfe sorgfältig prüfen zu lassen. Sollten sie sich bestätigen, gehe es um "kriminelle Machenschaften", die man entschlossen verfolgen werde.

Kurs in Hamburg: Derzeit nehmen in Deutschland 90.000 Menschen an Integrationskursen teil. (Foto: Regina Schmeken)

Dozenten seien unter Druck gesetzt worden, falsche Angaben zu machen, erzählt eine Sprachlehrerin in Bayern. "Sie haben uns gedroht, dass wir sonst nicht länger dort arbeiten können", sagt die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung nennen will. Sie unterrichtet seit Jahren in Integrationskursen, in denen Einwanderer Deutsch lernen. Einwanderer werden zu Integrationskursen verpflichtet, beispielsweise wenn sie einen Deutschen geheiratet haben und dann nach Deutschland ziehen. Andere, die schon länger hier leben, besuchen die Kurse freiwillig.

Einträge mit Bleistift

Offenbar gibt es immer wieder Teilnehmer, die wegen Krankheiten, Jobs oder mangelnder Motivation dauernd fehlen. Mit manipulierten Anwesenheitslisten können die Kursanbieter versuchen, dennoch Geld vom Staat zu bekommen. Für jede Unterrichtsstunde kassiert der Anbieter 2,35 Euro je Teilnehmer. Die Kurse umfassen in der Regel 645 oder 945 Unterrichtsstunden.

Die Kosten übernimmt überwiegend das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Einen Euro je Stunde müssen die Teilnehmer selbst zahlen. Wer nicht genügend eigenes Einkommen hat, wird davon befreit.

Es seien nicht nur die Lehrer, die zu falschen Listen genötigt würden, berichtet eine Kursleiterin aus Norddeutschland, die schon bei drei Sprachschulen gearbeitet hat. Betreiber und Verwaltungsmitarbeiter könnten die Listen der Lehrer auch später noch manipulieren. Ein Anbieter habe verlangt, dass die Lehrer ihre Einträge nur mit Bleistift machen.

In der ARD-Sendung Report Mainz haben Dozenten ebenfalls vom Abrechnungsbetrug berichtet. Und bei einem Test mit versteckter Kamera waren drei von vier Sprachschulen sofort bereit, Fehltage eines neuen Teilnehmers zu vertuschen. Konfrontiert mit den Recherchen, sagte der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz: "Das finde ich sehr bestürzend, da muss man sofort einschreiten." Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will die Kontrollen nun verbessern. Es könnte intensivere Meldepflichten der Kursteilnehmer geben, beispielsweise mit eigenen Unterschriften.

In diesem Jahr gibt die Bundesregierung 218 Millionen Euro für die Integrationskurse aus. Derzeit laufen bundesweit mehrere tausend Kurse mit etwa 90 000 Teilnehmern. Um das Geschäft konkurrieren 1500 Anbieter, neben den Volkshochschulen und privaten Sprachschulen auch Wohlfahrtsverbände wie Caritas und Arbeiterwohlfahrt.

Die Arbeitsbedingungen der Dozenten sind meist prekär. Überwiegend sind es gut qualifizierte Honorarkräfte, die mit einer Unterrichtsstunde nur 15 bis 20 Euro brutto verdienen. Es gibt für sie keine weitere Vergütung, weder für Vor- und Nachbereitung des Unterrichts noch für die Ferien. Die Dozenten müssen sich selbst versichern, zum Teil würden sie sich krank zur Arbeit schleppen, weil sie sonst nichts verdienen, berichtet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie spricht von "Dumpinglöhnen".

Am Abrechnungsbetrug sind zwar indirekt auch Lehrer beteiligt, das Geld landet aber in den Kassen der Kursanbieter. Die Integrationsminister der Länder appellierten vor kurzem an die Bundesregierung sicherzustellen, dass die Integrationslehrer "für ihre wichtige Arbeit angemessen entlohnt werden".

© SZ vom 27.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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