Hochschulreform:Zeit der Korrekturen

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Bachelor und Master: Warum die neue Studienstruktur Unzufriedenheit auslöst - und wieso eine Reform der Reform nötig ist.

Birgit Taffertshofer

Mit dem Bachelor sollte vieles besser werden: Schneller, straffer und zugleich praxisnah und international sollte das Studium sein. Doch zehn Jahre nach Beginn des Bologna-Prozesses, der größten Hochschulreform Europas, ist die Liste der Klagen lang: Studenten und Professoren in Deutschland stöhnen unter der Prüfungslast, Studieninhalte sind dicht gedrängt, Auslandsaufenthalte und Praktika entfallen, und selbst innerhalb Deutschlands ist der Wechsel von einer Hochschule zur anderen schwierig.

Unzufriedenheit mit den Effekten der Reform: Studenten vermissen im Bachelorstudium unter anderem Freiräume. (Foto: Archiv-Foto: dpa)

Doch Bologna ist noch nicht verloren. Im Stillen arbeiten viele Hochschullehrer und Studenten längst an einer Reform der Reform. Dabei werden sie aber auch auf die Unterstützung der Politik angewiesen sein.

Michael Melkonian hat das Jammern über den Bachelor nie verstanden. Für den Biologie-Professor markiert die Umstellung auf das zweistufige Studienmodell einen überfälligen Aufbruch. Als Erster an der Universität Köln stellte er sein Fach auf Bachelor und Master um. Langzeitstudenten gibt es bei den Biologen heute nicht mehr: Die Bachelor-Studenten beenden ihr Studium nach 5,9 Semestern.

Das sei nur möglich, sagt Melkonian, weil die neue Struktur und die Studiengebühren die Dozenten dazu zwängen, sich den Studenten mehr zuzuwenden, sie zu beraten, Veranstaltungstermine einzuhalten und die Fähigkeiten der Studenten regelmäßig zu bewerten.

Kein Platz für Nebenjobs

Aber so wie viele Befürworter der Reform muss sich auch Melkonian heute einen gewissen Übereifer eingestehen. Denn ein Leiden, das Deutschlands Unis schon seit Jahrzehnten quält, wurde auch er nicht los: das Heer von Studienabbrechern. 40 Prozent der Biologen in Köln kapitulieren.

Gründe dafür gibt es viele, einen wichtigen nennt der Kölner Professor: Für Studenten, die ihr Studium mit Nebenjobs finanzieren müssen, ist das neue Vollzeitstudium kaum zu schaffen. In einem Merkblatt riet er im Juli 2008 Interessenten deshalb "dringend" vom Biologiestudium ab, wenn sie nebenher mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten müssten.

"Wir brauchen Teilzeit-Studiengänge und Stipendien"

Ein Biologie-Bachelor nur für Reiche? Auch Professor Melkonian weiß, dass dies keine Lösung sein kann. Deshalb arbeitet er daran, die Beratung und Unterstützung gerade in den ersten Semestern zu verbessern. Auch der Prüfungsdruck soll abnehmen. Stehen bisher schon zu Studienbeginn alle Termine für Prüfungen fest, sollen vom Wintersemester an alle Studenten selbst entscheiden dürfen, wann sie zum Test antreten wollen. "Die Probleme der jungen Leute werden damit aber nicht gelöst sein", sagt Melkonian, "wir brauchen Teilzeit-Studiengänge und Stipendien."

Die Voraussetzungen für ein Teilzeitstudium und ein Stipendiensystem kann jedoch nur die Politik schaffen. Um Fragen der sozialen Gerechtigkeit und um die Studierbarkeit der neuen Studiengänge wird es unter anderem bei der Bologna-Nachfolgekonferenz Ende April im belgischen Löwen gehen. Dort werden die beteiligten Staaten ihre nationalen Aktionspläne präsentieren, mit denen sie Fehlentwicklungen entgegensteuern wollen. Ihr erklärtes Ziel ist es, bis 2010 einen "gemeinsamen europäischen Hochschulraum" zu verwirklichen.

Offen ist bisher, ob Auslandsaufenthalte durch die neuen Bachelor-Studiengänge gefördert oder eher gehemmt werden: In den alten Studiengängen gingen im Schnitt knapp ein Viertel der Studenten ins Ausland, bei Bachelorstudiengängen an Universitäten sind es nur 15 Prozent, an den Fachhochschulen sogar nur neun Prozent.

Denn statt eine didaktisch sinnvolle Ordnung ins Studium bringen, wie es das Ziel der Reform war, sind in Deutschland Tausende spezialisierte Module und Studiengänge entstanden, die einen Hochschulwechsel erschweren.

Nur wenige haben es wie die Wirtschaftswissenschaftler in Hamburg geschafft, das Einzelgängertum von Lehrstuhlinhabern schnell zu beenden. Dort arbeiten die Professoren heute im Team, stimmen ihre Studieninhalte, Veranstaltungsangebote und Termine miteinander ab. "Aus 20 kleinen Königreichen ist ein organisiertes Ganzes geworden", sagt Martin Nell, Professor an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät in Hamburg. Davon profitiert hätten nicht nur die Professoren, sondern auch die Studenten, die weniger Prüfungen ablegen müssten.

"Nicht jeden Atemzug bewerten"

Die "Prüfungswut" müsse eingedämmt werden, sagt Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin: "Wir müssen ja nicht jeden Atemzug bewerten, den ein Student macht." Doch selbst den Wirtschaftswissenschaftlern in Hamburg gelang es nicht, im Bachelor Auslandszeiten unterzubringen. Nell sieht nur einen Ausweg: Das Studium wieder zu verlängern. Mit seiner Forderung steht der Wissenschaftler längst nicht mehr alleine da.

Viele Politiker und Experten plädieren dafür, die Studiendauer beim Bachelor von sechs auf sieben oder acht Semester zu erhöhen, um den Studenten wieder mehr Raum zur persönlichen Entfaltung zu geben. Auch der Politologe Roland Bloch, der für seine Doktorarbeit Studenten befragte, vermisst bei den stark verschulten Studiengängen in Deutschland Freiräume für die Studenten: Je stärker man ein Studium durchstrukturiere, desto mehr fördere das die Stromlinienförmigkeit im Lernverhalten der Studenten.

"Die Hochschulen müssen ihren Gestaltungsspielraum besser nutzen", sagt Peter Zervakis vom Bologna-Zentrum der Hochschulrektorenkonferenz. Einer Verlängerung des Bachelors stehe rechtlich nichts entgegen. Denn die Vereinbarung, auf die sich Europas Wissenschaftsminister 1999 in Bologna einigten, schreibe eine Sechs-Semester-Struktur gar nicht verpflichtend vor. Dass sich die meisten deutschen Hochschulen dennoch für ein Kurzzeitstudium entschieden haben, habe auch mit dem Spardiktat der Bundesländer zu tun. "Die Idee von Bologna bringt viele Vorteile", sagt Holger Burckhart, Prorektor für Lehre und Studium an der Universität Köln. Die Nachteile seien oft nur der schlechten deutschen Anwendung geschuldet.

© SZ vom 14.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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