Hochschule:Mal schnell die Quantentheorie erklären

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Wo sich 28 Studierende auf künftige Führungsaufgaben vorbereiten: An der bayerischen Elite-Akademie zählt nicht nur Intelligenz, sondern auch soziales Engagement.

Von Christine Burtscheidt

Gelegentlich können auch Tests irren. Der erste IQ-Test stufte Karlheinz Toni als "fast Debilen" ein. Das war in der vierten Klasse. Wenige Jahre später ist er keineswegs dort, wo man ihn vielleicht vermuten würde - an einer Förderschule, sondern an der Eliteakademie, dem neuen bayerischen Spitzen-Kader für künftige Führungskräfte. Dort nennen ihn alle nur liebevoll Charly, was vielleicht an den Rastalocken liegt, die das Gesicht des jungen Österreichers freundlich umrahmen. So als sei das Leben einfach nur in vollen Zügen zu genießen. Tatsächlich aber bringt Charly sehr viel Einsatz. Er widmet sich abstrakten Welten. In seiner Doktorarbeit beackert er das noch wenig erforschte Feld der Computerlinguistik, also Sprachfertigkeiten des Computers.

Karlheinz Toni ist hochbegabt. So wie die anderen 28 Studenten des siebten Jahrgangs an der Eliteakademie. Nahezu alle haben ihr Abitur mit 1,0 gemacht. Charly gelang das bereits mit 17 Jahren. Später studierte er an der Technischen Universität in München Informatik. Mit 22 machte er sein Diplom. Seit einem Jahr hat er nun eine Assistentenstelle und fragt sich, wie sich Sinneswahrnehmungen im Computer kompensieren lassen. Mehrere Stunden am Tag studiert er die künstliche Intelligenz. Den Eindruck eines wirklichkeitsfernen, verwirrten Wissenschaftlers macht er deshalb nicht. Forschung ist für ihn ein Spiel. "Bis jetzt ist mir immer alles leicht gefallen", sagt er. Seine Begabung nimmt er nicht als etwas Besonderes wahr. Er könne lediglich "ziemlich schnell Dinge analysieren", sagt er ohne eine Spur von Überheblichkeit.

Neun Frauen, 19 Männer

Die Elite trifft sich während der vorlesungsfreien Zeit im Tagungszentrum der Industrie- und Handelskammer in Westerham (Landkreis Rosenheim). Es ist ein ganz normaler Seminartag: Studenten sitzen hier im blauen Dreiteiler oder beigen Kostüm. Durch ein raumhohes Fenster drückt das noch schneebedeckte Oberland herein. Der Parkettboden strahlt ein wenig die Atmosphäre einer Turnhalle aus. Dozent Hermann Will übt mit bunten Stiften und vielen Stellwänden das "Präsentieren und Moderieren".

Neun Frauen, 19 Männer. Jeder ist an einer der elf bayerischen Universitäten eingeschrieben, überwiegend in Fächern, die der Markt nachfragt - Maschinenbau, Informatik oder BWL. In vier Präsenzphasen sollen die Teilnehmer binnen zwei Jahren Kenntnisse über ihr Fach hinaus erwerben sowie Teamfähigkeit und Benimmregeln beim Sieben-Gänge-Menü trainieren. Und richtiges Moderieren.

Stefanie Reinecke hat soeben durch eine Diskussion geführt. Selbst heftigste Wortgefechte glättete die Studentin mit ihrem charmanten Lächeln. Charly lobt sie. Alles sehr professionell für eine 21-Jährige. Sie feilt an ihrem Auftritt auch schon lange. Bereits mit 16 Jahren nahm Stefanie Reinecke an Workshops im internationalen Space Camp der NASA teil, später studierte sie an der neuen internationalen Universität in Bremen, jetzt macht sie ein Zusatzstudium an der Münchner TU: "Management und Wirtschaft". Über ihre neuen Freunde in Westerham sagt sie: "Es ist schön, wenn man sich nicht schämen muss, dass man noch etwas lernen will."

An die Wand genagelt

Richtig sicher fühlen sich die Studenten in ihrer neuen Rolle jedoch noch nicht. Schwierigkeiten macht vor allem der Elite-Begriff. Welche Attribute soll man, darf man ihm zuschreiben? Der Akademieleiter und Münchner Psychologe Dieter Frey hat zu Beginn der Präsenzphase ein paar bildliche Brücken gebaut. Metaphern wie Bäume, Farbtupfer oder Leuchttürme. Doch bei der Auslegung gerieten viele ins Schleudern. So meint Charly jetzt auch, schon aus einer historischen Verantwortung heraus dürfe eine Elite in Österreich oder Deutschland keinen Führungsanspruch erheben. Besser hält er Umschreibungen wie "jemandem den Weg weisen" oder "Menschen, die Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen." Das kommt sehr gestelzt daher, zeigt aber, wie schwierig es ist, an eine Tradition anzuknüpfen, die nicht positiv besetzt ist.

Als Bettina Zapf auf der Akademie angenommen wurde, musste sie erst einmal schlucken. Gegen 260 Bewerber hatte sie sich durchgesetzt. Dabei war das Auswahlgespräch an ihrer Heimat-Universität Regensburg so ziemlich das Schlimmste, was sie bislang erlebt hat. Die Mathe-Studentin sollte zur Stammzellen-Forschung Position beziehen. "Der Professor hat mich derart an die Wand genagelt. Ich wusste zum Schluss gar nicht mehr, was ich sagen sollte." Als dann überraschend die Zusage kam, gab es Knatsch mit dem Freund. "Der hatte Angst, dass ich snobbig werde." Vier Wochen später kann sie ihn beruhigen: "Wir sehen uns hier nicht als wahnsinnig herausragend oder intelligent an."

"Was macht man damit?"

Seit 1999 gibt es die Eliteakademie - eine Einrichtung des Freistaats und der bayerischen Wirtschaft. In den ersten Jahrgängen machten Besucher bei abendlichen Kamingesprächen gelegentlich zu viele angepasste Musterschüler aus. Inzwischen wird bei dem mehrstufigen Auswahlverfahren nicht nur auf ausgezeichnete Noten im Abitur und Vordiplom, sondern auch auf soziales Engagement geachtet. Bettina Zapf zum Beispiel arbeitete jahrelang für das katholische Kolpingwerk in Regensburg - ehrenamtlich versteht sich. Zuletzt leitete sie mit vier Freiwilligen die Diözese - 6000 Jugendliche. Das "Zupacken" hat sie zu Hause auf dem elterlichen Hof in einem Dorf in der Oberpfalz gelernt. Nach der Schule stand sie oft im Stall und half. Dass sie nach der Feldarbeit noch Sinn für Wahrscheinlichkeitsrechnungen hatte und prompt ein Studium in Mathematik wählte, irritierte die Eltern. "Was macht man damit?", fragten sie. Jetzt sind sie froh, dass ihre Tochter an der Eliteakademie etwas Praktisches lernt. Und Bettina Zapf sagt, alternativ zu einer Wissenschaftskarriere könnte sie sich durchaus einen Job in der Personalführung vorstellen. Ordentlich bezahlt sollte er sein. Denn die Ausbildung in Westerham kostet pro Semester 600 Euro. Zapf musste für die Studiengebühren ein Darlehen aufnehmen.

Ein ziemlich bunter Haufen ist die Gruppe auch politisch. Während Karlheinz Toni als "Leitfigur" auf Anhieb Außenminister Joschka Fischer einfällt, ist Christian Neugirg bei der Jungen Union. Der schmale junge Mann, der nur auf den ersten Blick schüchtern wirkt, referiert gerne über die Arbeitslosigkeit, die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich oder den deutschen Reformstau. Der Sohn eines Lokführers interessiert sich auch in seinem Studium an der Universität Regensburg für die verschiedensten Gebiete. Neben Physik, seinem Hauptfach, hat er noch Englisch, Französisch, Politik und Wirtschaft belegt. Jetzt genießt er es, auf Menschen zu treffen, denen er mal schnell die Quantentheorie oder Unschärferelation erklären darf. Zu Hause in Premenreuth an der tschechischen Grenze spielt er mit seinen Freunden vor allem Fußball. Zurzeit steht er im Mittelfeld. Aber vielleicht hat er ja das Zeug dazu, irgendwann ein Spielführer zu werden.

© SZ vom 21.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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