Hochschule:Elende Laufbahn

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Befristete Stellen, traurige Wissenschaftler und ein Hoffnungsschimmer: Die unerwarteten Folgen des Urteils zur Juniorprofessur.

Von Thomas Steinfeld

Als das Bundesverfassungsgericht vor fünf Wochen die 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes für nichtig erklärte, schienen in den Augen vieler Kommentatoren die Tage des Juniorprofessor, dieser heroischen Figur einer neuen, unternehmerisch geführten Universität, gezählt zu sein, bevor sie überhaupt erst richtig antrat. Mittlerweile weiß man, dass es keinen Grund für diese Schadenfreude gab: Den jungen Menschen, der auf eigenes Risiko, ohne Sicherheit auf Lebenszeit, eine Karriere in der akademischen Lehre beginnt, wird es weiterhin geben. Nur wird seine Existenz in Zukunft wohl auch durch Landesrecht gedeckt sein.

Klage auf "Entfristung"

Erst allmählich zeigt sich, dass das Urteil des Verfassungsgerichts noch ganz andere Folgen haben wird als die vorübergehende Verunsicherung der Juniorprofessoren: Denn mit dem neuen Amt kassierte das Gericht auch die Befristungsregelung für wissenschaftliche Angestellte - Juniorprofessoren gibt es bislang im gesamten Bundesgebiet nur etwa sechshundert, die wissenschaftlichen Angestellten mit befristeten Verträgen zählen hingegen nach Zehntausenden.

Viele von ihnen werden jetzt denken, und zwar vor allem, wenn sie ihren Arbeitsvertrag nach dem 23. Februar 2002, nach Inkrafttreten der 5. Novelle, geschlossen haben: Wenn die Befristungsregelung nicht zulässig war, kann auch die Befristung selbst nicht zulässig gewesen sein.

Die Gewerkschaft Verdi fordert die Betroffenen nun auf, ihren jeweiligen Arbeitgebern mitzuteilen, "dass ihrer Auffassung nach durch höchstrichterliche Rechtsprechung ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustandegekommen ist". Lässt sich der daraus vermutlich entstehende Konflikt nicht klären, landet er vor Gericht. Dieses muss jede Klage auf "Entfristung" einzeln klären.

Elende Laufbahn

So rächt sich, dass mit Juniorprofessur und Befristungsregelung versucht wurde, ein akademisches Problem auf administrative Weise zu lösen. Denn weder die Juniorprofessur noch die Habilitation, die sie ersetzen soll, und schon gar nicht die Befristung der Stellen ist das Problem: Das Elend der akademischen Laufbahn beginnt mit der Dissertation. Sie ist in den vergangenen drei Jahrzehnten so anspruchsvoll und umfangreich geworden- und so sehr der Dokumentation eines angeblichen Forschungsstands verpflichtet -, dass in einer gewöhnlichen Dissertation von heute bequem zwei Habilitationsschriften von gestern Platz fänden. Früher wurde in der Dissertation die Befähigung zum freien wissenschaftlichen Urteil nachgewiesen. Heute wird ein Großteil der Forschung in Form von Doktorarbeiten verfasst.

Das ist vor allem geschehen, weil die Konkurrenz unter den jungen Wissenschaftlern so unerbittlich geworden ist: Das dicke Buch ist eine Reaktion darauf, dass sich Hunderte um jede freie Stelle bewerben müssen. Dicke Bücher zu schreiben aber kostet Zeit und wird oft genug, aus sehr pragmatischen Gründen, von befristeten Stellen begleitet: Wer in den sechziger und siebziger Jahren an seiner Dissertation schrieb, war mit Mitte, höchstens Ende zwanzig promoviert. Heute sind die Kandidaten bis zu zehn Jahre älter, und längst sind sie akademisch so gründlich sozialisiert, so unfähig, einen nicht hochgradig formalisierten Satz zu schreiben, dass ihnen kein Weg aus der Universität hinaus mehr offen steht.

Aus diesen Verhältnissen gehen die traurigen Wissenschaftler hervor, die sich von befristeter Stelle zu befristeter Stelle durchschlagen. Irgendwann, mit vierzig Jahren oder mehr, reißt die Kette, und dann liegt nichts mehr vor ihnen, kein Beruf, keine Arbeit, keine Rente. Aus diesem Dickicht aus persönlicher Abhängigkeit, falschem Arbeitsdruck und überflüssiger Akademisierung einen Weg herauszuweisen - darin läge die Aufgabe einer nicht administrativ, sondern akademisch operierenden Hochschulpolitik. Die Juniorprofessur und die befristete Stelle helfen dabei nicht weiter, weil sie biographisch zu spät ansetzen. Denn was geht dem Juniorprofessor, ja selbst der befristeten Stelle voraus? Ein dickes Buch.

© SZ vom 31.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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