Hochbegabte im Interview:"Schlaue lachen anders"

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Die schlauesten Menschen Deutschlands sind im Verein Mensa organisiert. Heute treffen sich die Hochbegabten in Köln. Mensa-Mitglied Karin Joder erklärt, warum sie am liebsten unter sich bleiben.

Julia Bönisch

Vom heutigen Donnerstag an organisiert der Hochbegabten-Verein Mensa seine erste internationale Konferenz: Hochbegabte aus 20 Nationen treffen sich in Köln zur "intelligenten Unterhaltung". Mensa-Mitglied und Psychologin Karin Joder, die einen IQ von über 130 hat, diagnostiziert in ihrer Praxis Hochbegabung und coacht Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Hier erklärt sie, wie die schlauesten zwei Prozent der Bevölkerung ticken und warum Hochbegabte lieber unter sich sind.

Mensa-Mitglied Karin Joder: Die 38-Jährige Psychologin arbeitet mit anderen Hochbegabten. (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Wussten Sie erst mit dem Ergebnis Ihres IQ-Tests, dass Sie hochbegabt sind, oder war Ihnen schon als Kind klar, dass Sie schlauer sind als die meisten?

Karin Joder: Nein, das wusste ich als Kind noch nicht. Ich habe mich zwar in der Schule oft gelangweilt und gespürt, dass ich irgendwie anders war. Aber das habe ich nicht darauf zurückgeführt, dass ich hochbegabt bin. Ich dachte eher, dass mit mir etwas nicht stimmt. Deshalb habe ich mir als Kind nie viel zugetraut.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass Sie einen IQ von über 130 haben?

Joder: Ich war überrascht - und erleichtert, weil ich nun wusste, dass mit mir eben doch alles in Ordnung ist. Überrascht deshalb, weil ich selbst nicht in mein Bild von Hochbegabten passte. Ich habe mir sie immer wie Einstein oder Mozart vorgestellt, nicht so wie mich.

sueddeutsche.de: Hochbegabte gelten in der Bevölkerung doch eher als schwierig: Sie sind verhaltensauffällig, aber begabt, so das Klischee.

Joder: Laut aktuellen Studien zählen nur 15 Prozent aller Hochbegabten zu den sogenannten Underachievern. Das sind hochgbegabte Menschen, deren schulische Leistungen nur dem Durchschnitt entsprechen oder noch darunter liegen. 85 Prozent sind also nicht extrem auffällig.

sueddeutsche.de: Das heißt, die große Mehrheit kommt mit ihrer Situation gut zurecht und ist glücklich?

Joder: Nein. Viele Hochbegabte haben ein Leben lang das Gefühl, unter ihren Möglichkeiten zu bleiben und leiden darunter. Auch, wenn sie nicht 'verhaltensauffällig' geworden sind. Sie fühlen sich aus Außenseiter.

sueddeutsche.de: Warum? Weil sie sich selbst als Elite betrachten?

Joder: Das Wort Elite hat heutzutage einen so negativen Beigeschmack, deshalb würde ich es in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Die meisten Hochbegabten fühlen sich eigentlich ganz normal, so lange sie ihren eigenen Interessen nachgehen und sich ständig neue Anregungen und Herausforderungen suchen können. Viele haben Freunde, die auch hochbegabt sind. Deshalb bin ich auch Mitglied bei Mensa. Dort trifft man viele Gleichgesinnte.

sueddeutsche.de: Ist es für Hochbegabte langweilig, sich mit "normalen" Menschen abzugeben?

Joder: Nein, nicht langweilig, aber schwierig. Ich selbst habe zum Beispiel festgestellt, dass ich eine andere Art von Humor habe als durchschnittliche Menschen. Wenn ich mich über bestimmte Dinge nicht amüsieren kann, wirkt das auf manche arrogant. Das soll es aber gar nicht sein. Ich bin nicht arrogant, ich bin nur anders. Wir Hochbegabten lachen über andere Dinge.

sueddeutsche.de: Wo sehen Sie die größten Unterschiede zu normalbegabten Menschen?

Joder: Das fängt schon als Kind an: Als Hochbegabte setzt man sich im Kindergarten nicht gern in einen Stuhlkreis und klatscht. Das ist einfach keine Herausforderung, sondern eher lächerlich. Also suchen wir uns schon früh Themen, die uns begeistern, mit denen Gleichaltrige aber überfordert sind. Das können Fragen sein nach Leben und Tod, aber auch technische Dinge: Wie zum Beispiel funktionieren Flugzeuge oder U-Bahnen? Darüber wissen manche mit vier Jahren schon alles. Für unsere Umgebung ist das natürlich oft anstrengend.

sueddeutsche.de: Ist es für Eltern nicht bequem, ihr schwieriges Kind einfach als hochbegabt zu bezeichnen?

Joder: Natürlich. Viele Eltern reden sich damit die Probleme ihrer Kinder schön. 'Mein Kind ist faul, also hochbegabt', heißt es dann. Mit der Hochbegabungs-Diagnostik lässt sich aber leicht feststellen, ob dem wirklich so ist.

sueddeutsche.de: Wie reagieren Eltern, wenn Sie ihnen eröffnen, dass ihr Kind doch nicht so intelligent ist, sondern die Probleme eine andere Ursachen haben könnten?

Joder : Erstaunlicher Weise sind die meisten erleichtert. Viele Eltern möchten einfach nur eine schlüssige Erklärung für das Verhalten ihres Kindes. Wenn sie wissen, dass Schwierigkeiten nicht durch die Hochbegabung bedingt sind, können sie nach anderen Ursachen suchen. Oft stellt sich heraus, dass ein Kind eine Seh- oder Hörschwäche hat, deshalb unkonzentriert ist und in der Schule nicht mitkommt. Dagegen lässt sich relativ leicht etwas unternehmen.

sueddeutsche.de: Welche Herausforderungen suchen Sie sich, damit Ihnen nicht langweilig wird?

Joder: Im Beruf meist durch Studiengänge, die ich mir parallel zur Selbständigkeit gönne. In den letzten zwei Jahren habe ich nebenberuflich promoviert, zuvor habe ich nebenher Wirtschaftswissenschaften und danach Gesundheitswissenschaften studiert, nach Abschluss meines Psychologiestudiums. Und in meinem Beruf habe ich viel mit anderen Hochbegabten zu tun.

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