High-Tech-Unternehmen:Der Herbst der Helden

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Als die Wirtschaft boomte, erlebte München sein Job-Wunder - nun reiben sich die begehrten Fachkräfte von einst verwundert die Augen.

Von Judith Raupp

(SZ vom 13.9.2003) Die beiden Männer sind jung, vielleicht Mitte 20. Eigentlich sollten sie ihre Zukunft vor sich haben. Danach sehen sie aber nicht aus. Sie stehen vor einem der vielen Flachbauten in der Industrieansiedlung Dornach bei München, rauchen und schauen auf ihre Zehenspitzen. Auf dem Eingangsschild steht Sony Ericsson. Das erklärt die griesgrämigen Gesichter. Zwei Jahre nach der Fusion räumt der japanisch-schwedische Handyhersteller jetzt richtig auf.

Niemand weiß das besser als Sabine Jensen. Die 28jährige Münchnerin arbeitet seit sechseinhalb Jahren für den Technologiekonzern in Dornach, derzeit in der Softwareabteilung. Sie ist außerdem Betriebsratsvorsitzende. Was sie als Mitarbeitervertreterin erlebt, bringt sie in Rage: "Wir haben immer gute Arbeit geleistet. Wir haben weniger zum Konzern-Defizit beigetragen als andere Abteilungen. Und jetzt sollen wir bluten." Jensen versteht nicht, dass Sony Ericsson die 250 Arbeitsplätze in der Forschung und Entwicklung in Dornach zum Jahresende streicht. Die Ideen für neue Handys sollen künftig aus dem schwedischen Lund und aus Tokio kommen. Die Manager sagen, das sei effizienter.

Eine Sache von zwei Minuten

"Wie heißt der genau, schau doch mal in der Namensliste nach", ruft Jensen ihrer Kollegin zu, die gerade vor dem Computer sitzt. "Der", das ist der Entwicklungschef Hiroshi Yoshioka. Nicht nur der Name ist den Menschen bei Sony Ericsson in Deutschland fremd. Auch mit seiner Art haben sie ihre liebe Mühe. "Es war eine Sache von zwei Minuten", erinnert sich Jensen - so lange dauerte die Kündigung. Auch ihre Stelle wird wegrationalisiert. Sie wird nie vergessen, wie Yoshioka an einem Sommerabend aus Lund anreiste. Er sagte: "Der Firma geht es nicht gut. Wir müssen handeln. Forschung und Entwicklung kommen weg aus München." Punkt.

Jensen findet das unfair, die Wortkargheit, überhaupt, das ganze Prozedere: "Die haben uns einfach ausgespart, als sie die Forschungsprojekte auf die Standorte verteilt haben. Ohne Kommentar. Damals wussten die doch schon, dass sie hier schließen. Ist das die feine Art?" Sie sitzt da, in Jeans und T-Shirt. Bis vor kurzem war das die Uniform der Erfolgreichen, der kreativen Köpfe. Damals rangierte München noch auf Platz vier der internationalen Technologiezentren. Isar Valley fiel in einem Atemzug mit Silicon Valley. Informatiker scherzten, wer einen Job brauche, müsse sich nur auf den Münchner Marienplatz stellen und rufen 'Ich kann einen Computer einschalten'. Aus jener Zeit stammt auch der Spruch in der Eingangshalle von Sony Ericsson: "Wir sind ein Unternehmen, das sich der Zukunft verpflichtet hat. Wir erfinden sie. Das macht Spaß, das inspiriert."

Nur irgendein Standort

Heute ist der Spaß vorbei. Mittlerweile meldet München 71 164 Arbeitslose, darunter viele aus der Hightech-Industrie. Seit Jahresbeginn sind in dieser Branche in der Region mehr als 2000 Stellen verloren gegangen - bei Firmen, von denen das niemand erwartet hätte: Siemens, Hewlett-Packard (HP), AOL, Sony Ericsson, Oracle. Dass es München so hart trifft, hat einen einfachen Grund: Während des High-Tech-Booms sind - auch Dank geschickter Anwerbungspolitik - alle hergezogen, die Rang und Namen hatten. Jetzt, da den Firmen das Geld ausgeht, ziehen sie genauso schnell wieder ab.

Früher hat Jensen kaum die Hälfte ihrer Arbeitszeit für den Betriebsrat aufgewendet. Jetzt widmet sie sich dieser Aufgabe ganz. Zu forschen gibt es ja nichts mehr - dafür umso mehr frustrierte Kollegen. Sie überschütteten Jensen mit Fragen. Fragen, deren Antworten sie selbst gern wüsste. Was soll sie dem jungen Mann sagen, den Sony Ericsson noch zwei Monate vor dem Aus für München mit der Greencard aus Osteuropa geholt hat? Was sollte sie jenen raten, die schon jetzt gekündigt wurden, bevor auch nur ein Sozialplan steht? Selbst die Mitglieder des Betriebsrates sollen den "Blauen Brief" in diesen Tagen erhalten.

An die Gespräche über den Sozialplan erinnert sich Jensen mit Schaudern: "Sie fanden bei größter Hitze in einem stickigen Raum statt." Es hätte einen komfortableren Besprechungsraum gegeben, sagt sie. Aber den dürfen nur die Chefs benutzen; und die kommen nicht persönlich, um über Abfindungen oder die Beschäftigungsgesellschaft zu reden. Die Verhandlungen sind gescheitert. Ein Schlichter versucht nun, doch noch einen Sozialplan auf die Beine zu stellen.

Jensen räuspert sich, rückt auf ihrem Stuhl nach vorn: "Das Problem ist doch, dass Deutschland für Sony Ericsson nur irgendein Standort ist. Die haben kein Interesse nach Alternativen für die Schließung zu suchen." Ob sie noch mal bei einem ausländischen Arbeitgeber anfangen würde? Jensen rollt die Augen und fragt zurück: "Habe ich eine Wahl, bei dem Arbeitsmarkt?" Nur eines ist sicher: Umziehen will Jensen nicht. Schließlich hat ihr bis dato arbeitsloser Mann soeben in München einen Job gefunden.

Jung, international und gut drauf

Maria Gonzalez (Name geändert) würde weggehen aus Bayern, wenn sie irgendwo Arbeit fände. Die 33 Jahre alte Spanierin kommt gerade aus dem Deutsch-Kurs. Im Café sucht sie einen ruhigen Platz und bestellt ein Apfelschorle. Sie hat bei der Münchner Mobilfunkgesellschaft Quam gearbeitet, jener Tochtergesellschaft der spanischen Telefónica, die hochfliegende Pläne mit der neuen Handy-Generation UMTS hatte und von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde. Bei Quam hat Gonzalez kein Deutsch gebraucht. Die Kommunikation lief auf Englisch: "Wir waren alle jung, international und gut drauf."

Jung und international ist sie immer noch, gut drauf weniger. Gonzalez ist seit November 2002 arbeitslos. "Es ist schwierig, nicht gebraucht zu werden", sagt sie. Früher hat die Betriebswirtin Kosten und Zeitplan für den Aufbau des UMTS-Netzes kontrolliert, heute büffelt sie Vokabeln. Das lenkt ab. "Ich muss besser Deutsch können, um einen Job zu bekommen", sagt sie. Dabei spricht sie fast fließend. Die Personalchefs in den drei Vorstellungsgesprächen hat sie trotzdem nicht überzeugen können.

Dass Quam dicht gemacht wird, versteht Gonzalez: "Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hätte Telefónica mit UMTS in Deutschland nie anfangen dürfen." Aber sie sagt auch: "Ich fühle mich so, als ob Telefónica mit den Leuten gespielt hat".

Ursprünglich hatte Gonzalez einen Vertrag mit dem spanischen Mutter-Konzern. Bei der deutschen Tochter sollte sie zwei Jahre lang Aufbauhilfe leisten. Ende 2001 erklärte ihr die Geschäftsleitung, wenn sie in München bleiben wolle, müsse sie den Telefónica- in einen Quam-Vertrag tauschen. Gonzalez blieb: "Ich wollte erleben, wie unser Netz an den Start geht." Ein halbes Jahr später teilte Telefónica mit, dass Quam geschlossen wird. Enttäuscht ist Gonzalez nicht, nicht traurig, nicht wütend. Sie bereut auch die zahllosen Überstunden nicht. Nur eines hat sie gelernt: "Es bringt nichts, sich für die Firma aufzureiben. Der Mensch zählt nicht, nur das Geld."

"Abbau der Doppelspurigkeiten"

Das bringt Michael Leppek von der IG Metall auf die Palme. Ihn ärgert besonders, dass "häufig Managementfehler die Unternehmen in die missliche Lage führen". Über Sony Ericsson ist er ziemlich sauer: "Die wollen doch nur das Know how in ihren Heimatländern haben." Dennoch, für gewisse Nöte der Konzernlenker hat der Gewerkschaftler Verständnis: "In schwierigen Zeiten müssen die Kosten runter, dann ist man schnell beim Personal." Aber die Frage sei doch, wie man spare. Den "einfallslosesten Weg, Stellen zu streichen", hält er jedenfalls nicht für zwingend: "Es gibt andere Lösungen, wie Arbeitszeitverkürzung oder Verzicht auf gewisse Lohnbestandteile."

Ähnliches hat der Betriebsrat von HP der Geschäftsleitung vorgeschlagen. Vergeblich. Nach der Fusion mit Compaq verlagert HP die Geschäfte der früheren Compaq-Zentrale von München nach Böblingen und Ratingen. "Abbau der Doppelspurigkeiten", heißt das im Managerjargon und bedeutet für 600 Menschen den Job-Verlust. HP bietet zwar einige Jobs an den neuen Standorten an. Doch nur wenige wollen dorthin. Das Haus, die Kinder in der Schule, die Freunde, der Sportverein, die Oma, die den Nachwuchs hütet - viele wollen oder können das nicht aufgeben.

Die ersten Bewerbungen nach 22 Jahren

Ingrid Mai hat den ganzen Tag im Outplacement-Kurs verbracht. Bis vor kurzem war sie freigestellte Betriebsrätin. Jetzt ist sie in der neuen Beschäftigungsgesellschaft. Diese Auffangfirma soll die entlassenen HP-Leute umschulen und ihnen bei der Jobsuche helfen.

Mai lässt sich erschöpft auf dem Stuhl nieder. Es ist anstrengend, nach 22 Jahren in ein und dem selben Betrieb wieder Bewerbungen zu schreiben. Dabei steht sie mit beiden Beinen im Leben. Das hat sie in den vielen Jahren als Arbeitnehmervertreterin gelernt. Darum weiß Mai sehr genau: "46 Jahre alt, allein erziehend, freigestellte Betriebsrätin, Frau - so schnell bekomme ich keinen Job." Auf die Geschäftsleitung ist sie nicht gut zu sprechen. Anders als Sony Ericsson macht der HP-Konzern Gewinn. Für einen Moment kneift Mai die Augen zusammen und sagt: "Betriebswirtschaftlich wäre es nicht nötig, die Münchner Zentrale zu schließen." HP habe einige lästige Betriebsräte wegbekommen wollen, argwöhnt sie. Dass das Management jetzt den Tarifvertrag gekündigt hat, wertet sie als Beweis dafür.

Den ersten Schock über die Kündigung hat sie überwunden. Jetzt muss sie sparen. Mai und ihre beiden Kinder im Teenager-Alter fahren vorläufig nicht mehr in die Ferien. Neuerdings schaut sie in den Geschäften wieder nach Sonderangeboten. "Dazu habe ich ja jetzt Zeit", sagt sie.

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