Hartz-Reformen:Richtig ver(un)sichert

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Jetzt noch eine Kapital-Versicherung abschließen oder doch lieber auf Riester-Produkte setzen? Wie Hartz IV Anleger verunsichert, und vor welche Probleme es Finanzdienstleister stellt.

Von Heinz-Josef Simons

Die unter Hartz IV zusammengefassten Arbeitsmarktreformen gehen auch an den großen Finanzvertrieben in Deutschland nicht spurlos vorüber. Deren Mitarbeiter haben in der Vergangenheit traditionell gern Kapital-Versicherungen verkauft, die jedoch in Zukunft gekündigt werden müssen, bevor Anspruch auf Arbeitslosengeld II besteht. Viele Vertriebe haben reagiert und werben nun stärker für den Verkauf von "zugriffssicheren" Produkten wie die Firmen- und Riester-Rente.

(Foto: Foto: ddp)

Viele Anleger sehen sich seit der Verabschiedung von Hartz IV gezwungen, ihre private Altersvorsorge neu zu überdenken. Viele haben Angst, das eigene Kapital für später könnte schon heute - sozusagen von Amts wegen - gefleddert werden. "Wünscht der Kunde die Sicherheit vor dem staatlichen Zugriff auf sein Vermögen, empfehlen wir derzeit die betriebliche Altersvorsorge oder auch RiesterProdukte", sagt etwa Jürgen Kotulla, Marketingchef des Kölner Finanzdienstleisters OVB Vermögensberatung. Friedrich Bohl, Vorstand der Deutsche Vermögensberatung DVAG, pflichtet bei. Auch dort stehen Firmen- und Riester-Renten ganz oben auf der Empfehlungsliste.

Derzeit sind mehr als zwei Millionen künftige Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) II aufgefordert, das 16-seitige Antragsformular auszufüllen. Viele begeben sich bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Vermögensfrage jedoch in die Gefahr, bestehende Versicherungsverträge auflösen zu müssen. Die befürchtete Welle von Policen-Kündigungen habe es bislang aber noch nicht gegeben, sagen Vertreter der Finanzvertriebe übereinstimmend. Sie begründen dies unter anderem damit, dass der von Hartz IV betroffene Personenkreis gar nicht im Fokus ihres Geschäfts liege.

Das wird von Verbraucherschützern jedoch bezweifelt. Zielgruppe der Finanzdienstleister seien sehr wohl in der Hauptsache Haushalte mit mittlerem Einkommen. Die Quote der gehobenen und betuchten Klientel wachse zwar, aber ziemlich langsam. Wer Vermögen und überdurchschnittliches Einkommen hat, so übereinstimmende Analysen, geht bislang hauptsächlich zu den großen und kleineren Privatbanken. Und: "Auch bei den gut und passabel verdienenden Angestellten aus der Mittelschicht macht sich allmählich die Angst vor Arbeitslosigkeit und Hartz IV breit", sagt Elke Weidenbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf.

Mehr neue Abschlüsse

Derzeit boomt das Geschäft mit Kapitallebensversicherungen allerdings noch. Das hat nichts mit Hartz IV zu tun, sondern mit dem Kompromiss im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zum Alterseinkünftegesetz. Danach behalten Verträge, die vor dem 31.12.2004 abgeschlossen werden, und für die bis dahin auch der erste Beitrag überwiesen wird, das so genannte Steuerprivileg. Auf dessen Grundlage können Policen-Inhaber die in der Ablaufleistung enthaltenen Überschüsse in voller Höhe kassieren. Bei Vertragsabschlüssen im kommenden Jahr unterliegen diese Erträge dann dem Zugriff des Finanzamts. Folge: Schon vor Wochen haben die Versicherer ihre Vertriebe mobilisiert, damit möglichst viele Kapitallebensversicherungen an den Mann und die Frau gebracht werden.

Verbraucherschützer befürchten, dass es jedoch auf der anderen Seite zu einer Flut von überstürzten Kündigungen kommen könnte. Nicht zuletzt wegen Hartz IV. Diese Befürchtung teilen die meisten Vertriebe derzeit jedoch nicht. DVAG-Vorstand Bohl sieht für sein Unternehmen "keinen Grund, unser erfolgreiches Geschäftsmodell zu verändern. Im Einzelfall finden wir Lösungen, die für den Kunden in seiner persönlichen Situation hilfreich sind." Angaben zu Stornierungsquoten wollte er nicht machen.

Eine größere Kündigungswelle wäre allerdings auch nicht im Sinne der Finanzvertriebe, weil nicht zuletzt auch deren Mitarbeiter dann Einkommenseinbußen hätten. Denn diese sind in der Regel selbstständige Handelsvertreter, die von Abschluss- und Bestandsprovisionen leben. Für die Vermittlung einer Kapitallebensversicherung oder einer privaten Renten-Police sind alles in allem gut fünf Prozent der Beitragssumme als Abschlussprovision möglich. Wird der Vertrag in den ersten Jahren aufgelöst, müssen die Vermittler einen Teil ihrer Provision zurückzahlen. Auch deshalb sind die Finanzdienstleister daran interessiert, dass es wegen Hartz IV nicht zu einem Kündigungsboom bei den Kapital-Policen kommt.

Unterdessen steigt jedoch nach Angaben der Verbraucherzentralen der Beratungsbedarf auf Anlegerseite allmählich. Derzeit habe er aber noch keine außergewöhnlichen Dimensionen angenommen, betonen sie. Das geschieht wohl erst, wenn Antragsteller auf Arbeitslosengeld und Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen sämtliche Zeilen im 16-seitigen Antragsformular zum Alg II verstanden haben, meinen Experten.

© SZ vom 27.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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