Geringverdiener:Einmal arm, immer arm

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Geringverdiener schaffen es nur selten, ihre Einkommenssituation zu verbessern: Nach einer neuen Studie schafft es nur jeder achte Niedriglöhner im Laufe der Jahre aus dem finanziellen Engpass. Frauen gelingt der Aufstieg besonders selten.

Dagmar Deckstein

Seit der Parteiendisput über Sinn und Unsinn eines staatlich verordneten Mindestlohns anhält, hat sich das öffentliche Augenmerk auf den Niedriglohnsektor und auf die Lebensumstände der Geringverdiener gerichtet. Dieser wachsenden Gruppe unter den Erwerbstätigen hat sich jetzt das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) angenommen und ist der Frage nachgegangen, wie dauerhaft eine Niedriglohnbeschäftigung für die Betroffenen ist. Einmal Geringverdiener - immer Geringverdiener, oder besteht die Hoffnung, dass Niedriglohnbeschäftigung vorübergehend ist und als Sprungbrett in besser bezahlte Tätigkeiten dient?

Niedriglöhne: Frauen haben besonders geringe Chancen, in höhere Gehaltsstufen aufzusteigen. (Foto: Foto: dpa)

Das hängt vom Geschlecht, der Qualität der Ausbildung, der Branche und von der Betriebsgröße ab. Unterm Strich hält die am Montag vorgelegte IAB-Studie "Niedriglohnbeschäftigung: Sackgasse oder Chance zum Aufstieg?" aber fest, dass sich innerhalb von sechs Jahren nur zwölf Prozent der untersuchten Männer und Frauen am unteren Ende der Einkommensskala hocharbeiten konnten. "Besonders auffällig ist, dass fast 20 Prozent der Männer, aber weniger als elf Prozent der Frauen innerhalb von sechs Jahren den Aufstieg aus dem Niedriglohnbereich schafften", befinden die IAB-Forscher. Untersucht wurden knapp 30.000 vollzeitbeschäftigte und sozialversicherungspflichtige Geringverdiener aus den Jahren 1998 und 1999 und gefragt, was bis Juni 2005 aus ihnen geworden war. Damals lag die Niedriglohnschwelle bei 1779 Euro im Westen und 1323 Euro im Osten Deutschlands.

Teilzeitbeschäftigt oder arbeitslos

Rund ein Drittel von ihnen hatte auch nach rund sechs Jahren Lohn oder Gehalt nicht über die sogenannte Niedriglohnschwelle steigern können, heißt es in der Studie. 13,3 Prozent bekamen nach sechs Jahren einen höheren Lohn, 13,5 Prozent waren teilzeitbeschäftigt und 10,1 Prozent arbeitslos. Von knapp einem Drittel lagen keine Informationen vor. Sie waren entweder ganz aus dem Erwerbsleben ausgeschieden oder hatten sich selbständig gemacht, vermuten die Forscher.

Den Erkenntnissen der Wissenschaftler zufolge ist in den vergangenen Jahren der Niedriglohnsektor kontinuierlich gewachsen. Mittlerweile gehöre jeder sechste Vollzeitbeschäftigte zu den Geringverdienern. "Auch hier zeigt sich, dass Frauen, Jüngere, Geringqualifizierte, Ausländer und Beschäftigte in Kleinbetrieben in der Gruppe der mehrjährigen Geringverdiener besonders häufig vertreten sind", heißt es in der Studie. Vor allem Frauen: Obwohl sie nur 35 Prozent der Vollzeitbeschäftigten stellten, seien fast 60 Prozent von ihnen Geringverdiener. Frauen hätten zudem besonders geringe Chancen, in höhere Gehaltsstufen aufzusteigen.

Gleichberechtigung hört beim Lohn auf

Abhängig ist die Chance auf Aufstieg auch von der Betriebsgröße. In Großbetrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern sei die Chance doppelt so groß wie in Kleinbetrieben mit maximal 20 Beschäftigten, weist die Studie nach. Auch Betriebswechsel verbesserten die Chance, das Schicksal des Geringverdieners auf Dauer abzuschütteln. Die Autoren der Studie halten ihre gesammelten Daten zwar für die bestgeeigneten zur Untersuchung von Aufstiegsprozessen in Deutschland. Sie schränken aber ein, dass einige relevante Daten fehlen. "So konnten Faktoren wie Leistungsbereitschaft und der Familienstand eines Individuums oder dessen bisherige Erwerbsbiographie nicht berücksichtigt werden", heißt es.

Dass die Gleichberechtigung in Deutschland beim Lohn aufhört, hatte EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla schon im vergangenen Sommer moniert und mit einem Gesetz seitens Brüssels gedroht, um das Lohngefälle einzuebnen - etwa durch eine verpflichtende Elternzeit für Väter. In einem Zeitungsinterview hatte Spidla die Zahlen und seine Warnungen am Montag bekräftigt: "In Deutschland liegt der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen um rund 22 Prozent unter dem der Männer. Damit gehört Deutschland zu den Staaten mit der größten Ungleichheit bei der Bezahlung von Männern und Frauen." Nur in Estland, Zypern und der Slowakei seien die Unterschiede größer oder gleich groß.

© SZ vom 10.6.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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