Gekündigt:Und raus bist du

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Wie Betriebsräte aussuchen, welcher Kollege entlassen wird.

Von Jonas Viering

Gleich zweimal, findet sie, hat man sie reingelegt. Ihr Arbeitgeber hat ihr gekündigt, nach 36 Jahren treuer Mitarbeit - und das dann auch noch auf Vorschlag des Betriebsrats. Helga Renz fühlt sich von den Arbeitnehmervertretern verraten: "Für die bin ich mit 60 doch schon ein Dinosaurier."

Wer auf die Namensliste gerät, muss gehen: Mann auf dem Weg zum Arbeitsamt. (Foto: Foto: dpa)

In der Deutschlandzentrale des Ölkonzerns ExxonMobil in Hamburg, wo sie in der Marketingabteilung angestellt war, werden bis 2006 rund 240 Stellen abgebaut. Aufgaben werden verlagert: nach Osteuropa, nach Asien, das Übliche. Aber die Art der Kündigung war neu. Betriebsrat und Geschäftsführung haben gemeinsam eine Liste gemacht, wer entlassen wird. "Damit entscheiden nicht mehr soziale Kriterien, wer gehen muss und wer bleibt", empört sich Renz' Anwalt Reinhard Gadies: "Die Betriebsräte machen sich zum Handlanger der Arbeitgeber."

Umkehr der Beweislast

Dies ist eine Dimension des Arbeitsrechts, die in der öffentlichen Diskussion kaum vorkommt, zumal CDU und FDP derzeit heftige Kampagnen gegen den angeblich zu hohen Kündigungsschutz betreiben. Doch seit dem 1. Januar 2004 können Arbeitgeber und Betriebsrat jene Namenslisten anfertigen, die vor Gericht Bestand haben, wenn sie nicht laut Gesetz "grob fehlerhaft" sind. Schon 1996 bis 1998 war dies so; Rot-Grün schaffte die Regelung erst ab und führte sie dann wieder ein.

Kommt es zum Rechtsstreit über eine Liste, muss der Arbeitnehmer belegen, dass bei der Auswahl soziale Kriterien verletzt wurden. Das ist eine Umkehr der sonst geltenden Beweislast. Brisant ist dies auch vor dem Hintergrund der gleichfalls von Union und Arbeitgebern angestoßenen Debatte, mehr Kompetenzen von den Gewerkschaften zu den Betriebsräten zu verlagern - bei denen der DGB Erpressbarkeit fürchtet.

So einfach ist die Sache aber nicht. Die standardisierte gesetzliche Sozialauswahl begünstige zu einseitig die Älteren, erklärt der Betriebsrat bei ExxonMobil, Joachim Heitmann. "Frau Renz kann in den Vorruhestand gehen", sagt er. "Wenn sie bleibt, erwischt es einen Vierzigjährigen mit drei kleinen Kindern." So wäge ein Betriebsrat bei der Liste ab - und muss auch einen Kompromiss mit der Geschäftsführung machen: "Das geht im Reißverschlussverfahren: Wir nennen einen, der sozial schutzbedürftig ist und deshalb von der Liste runter soll, dann die einen, der für sie ein Leistungsträger ist." Eine "gerechtere Sozialauswahl" nennt das Unternehmenssprecher Karl-Heinz Schult-Bornemann. Und verweist darauf, dass für die Ausscheidenden eigens eine Beratungsagentur engagiert wurde. Abfindungen gibt es auch; zusammen mit der Namensliste wurde ein Paket geschnürt.

Von "Hinrichtungslisten" spricht dagegen sehr drastisch der Bielefelder Arbeitsrechtler Wolfgang Grunsky: "Dahinter steht die Idee, den Streit um die Sozialauswahl zu entschärfen." Auch andere Juristen zeigen sich zumindest skeptisch. Professor Ulrich Preis aus Köln weist darauf hin, dass das neue Recht eine grundsätzliche Veränderung bringe: "Bislang hatte der Betriebsrat primär die Aufgabe, die Rechtsstellung des einzelnen Arbeitnehmers im Kündigungsfalle zu verbessern." Und Arbeitsrichter wie der Münchner Ulrich Rosenfelder konstatieren: "Für die Unternehmen ist es positiv; bei der Kündigung von hundert Beschäftigten eine korrekte Sozialauswahl hinzukriegen, ist sonst halt sehr schwer."

Um Mitternacht durchgeboxt

Die ganze Zwiespältigkeit zeigt sich im Fall Rodenstock. Der Brillenfabrikant hatte in dem bayerischen Städtchen Regen mit Produktionsverlagerung nach Tschechien und Massenentlassungen gedroht. Nach langen Verhandlungen habe man sich dann auf eine Namensliste zu Kündigender geeinigt, berichtet Bernhard Roos von der örtlichen IG Metall: Statt 370 sollen nun nur 270 Beschäftigte gehen, fünf Millionen Euro werden investiert - dafür wurden auf die Namensliste auch Ältere gesetzt, die sonst wohl unter Kündigungsschutz gestanden hätten. Rodenstock will den Standort von der Fabrik zum Technologiezentrum umbauen, das Innovationen serienreif macht. "Für eine solche Aufgabe braucht man das entsprechende Personal", erklärt Unternehmenssprecher Holger Burkhardt.

"Wir waren anfangs strikt gegen die Namenslisten", sagt der Gewerkschafter Roos. Die endgültigen Listen seien dann "um Mitternacht durchgeboxt" worden - denn anderenfalls, sagt Roos, hätte der Arbeitgeber die Millioneninvestition nicht zugesagt. Letztlich habe so die Arbeitnehmerseite nicht wirklich eine Wahl gehabt: "Das hat weh getan."

© SZ vom 25.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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