Führungsspitzen:Urlaubers Dilemma

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Ganz auf Urlaub verzichten, oder vom Strand aus per Laptop und Telefon steuern? Warum es für Chefs so schwierig ist, die richtige Freizeitstrategie zu finden.

Alexandra Borchardt

Wenn Deutschlands Lokführer-Anführer Manfred Schell das nächste Mal eine Kur beantragt, dürfte er mit seiner Krankenkasse Probleme bekommen. Denn während Bahn-Reisende dieser Tage beim Wechsel zwischen eiskaltem Bahnsteig und überfülltem Zug zwangsweise kneippschen Anwendungen ausgesetzt sind, ist bestens dokumentiert, dass der in Heilbehandlung befindliche Ober-Gewerkschafter nicht von seinem persönlichen Massage-Projekt lassen kann: Weichkneten des Bahnvorstands. Hier ein Interview, da ein Brief, dort ein Zwischenruf - und wie hieß er noch mal, der Stellvertreter?

Schell sitzt in der Urlaubsfalle. Denn ein Chef kann, was den Gebrauch seiner Freizeit angeht, im Grunde genommen nur Fehler machen. Möglichkeit Nummer eins: Er verzichtet ganz auf Urlaub. Dann hat er die Dinge zwar möglicherweise im Griff, damit aber auch den Ruf des Oberkontrolleurs. Die Folge: Kollegen mit Stellvertreter-Ambitionen verabschieden sich, Arbeit nimmt zu, Urlaubsreife auch, was ultimativ zu der Frage führen kann, ob der junge Mann am Frühstückstisch eigentlich der eigene Sohn oder der neue Freund der Ehefrau ist.

Möglichkeit Nummer zwei ist das Modell Schell. Urlaub wird gebucht, neben der Sonne muss aber ein Funkmast strahlen. Zu Lande, zu Wasser, auf dem Berg - von überall werden Ratschläge versandt, Mobiltelefon und Kleinstcomputer liegen neben Badetuch und Bettkante. Vorgesetzte, Kunden und Mitarbeiter begreifen schnell: Den kann man auch im Urlaub stören. Und schon hat er sich eingerichtet in seinem Fern-Büro auf Sylt oder den Seychellen. Wobei der Sand in der Tastatur nervt und die Wiedersehensfreude nach der Rückkehr groß ist, weil der Ehepartner die Sekretärin nicht komplett ersetzen wollte. Davon abgesehen, dass sich Kollegen mit Stellvertreter-Ambitionen inzwischen... aber das hatten wir schon.

Echter Urlaub erfordert Mut

Möglichkeit Nummer drei ist was für Nervenstarke, aber auch die können daneben liegen. Nennen wir sie Methode Steinbrück. Chefs mit Selbstbewusstsein fahren weg, wenn sie es für richtig halten, und dann sind sie richtig weg. Wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, als er im Frühjahr in Namibia auf Safari ging, während sich andere große Tiere in Washington zur IWF-Tagung trafen. Dass er einen Stellvertreter schickte, kam nicht gut an; hier sei der Haupt-Mann gefragt, ätzte man in der Heimat.

Auch wenn eine solche Strategie bei weniger prominenten Führungskräften keine Wellen schlägt, verzichten viele Chefs auf deren Gebrauch. Denn der echte Urlaub erfordert Mut. Immerhin könnten die Daheimgebliebenen feststellen, dass es ohne den Anführer viel besser läuft, dass die Nummer zwei als Nummer eins möglicherweise umgänglicher, effizienter, kreativer wäre als das Original.

Spieltheoretisch könnte man also von Urlaubers Dilemma sprechen. Aber ein guter Chef muss da durch. Wer souverän ist, fürchtet den starken Stellvertreter nicht, er zieht ihn sich heran. Damit der Leitwolf - vom Urlaub erholt - genau dann glänzen kann, wenn sich sein Statthalter nach Entlastung sehnt. Allerdings gilt: Großprojekte wie Etatverhandlungen oder Bahn-Streiks sollte der Reisende vor Abflug abschließen. Sonst könnte es sein, dass ihn tatsächlich niemand zurückhaben will.

© SZ vom 29.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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