Führungsspitzen:Stammplatz garantiert

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Für einen Chef sollte das Pflicht sein: Jemandem beibringen, dass er die stärksten Jahre hinter sich hat. Aus Angst vor dem Arbeitsrichter lässt aber so mancher seine Gurkentruppe gewähren.

A. Borchardt

So manch eine Führungskraft hat seit der vergangenen Woche einen neuen Helden. Die Rede ist von jenen Kapitänen der Wirtschaft, die irgendwo über sich einen Jogi Löw wähnen, der ihnen, sobald sie mal mit einer Quartalsbilanz neben das Tor schießen, an die Binde will. Für diese derart von der Seitenlinie beäugten Chefs hat sich nun der vom FC Chelsea verliehene Fußballnational-Zeitarbeiter Michael Ballack ins Zeug geworfen. "Respekt und Loyalität ist doch das Wenigste, was man als verdienter Nationalspieler erwarten kann", ließ er seinen Vorgesetzten, Bundestrainer Jogi Löw, via Frankfurter Allgemeine Zeitung wissen.

Torsten Frings: keine Stammplatzgarantie für ihn. (Foto: Foto: dpa)

"Jawohl!", rufen all die verkannten, in die Kritik geratenen Chefs. "Lasst uns unsere Stammplätze!" Wobei Löws Kapitän betont, er und seine Kollegen hätten niemals einen Stammplatz gefordert. Selbstverständlich, möchte man einfügen, denn auch Ballack weiß: Einen Stammplatz verlangt man nicht, man hat ihn. Das kennt jeder, der irgendwo zu Besuch ist und mit einem freundlichen "Setzt euch hin, wo ihr wollt" zum Platznehmen aufgefordert wird. Der höfliche Gast wird mit einem "Wo sitzt ihr denn?" antworten und Hinweise wie "meistens da, das ist strategisch günstig zur Küche" richtig zu interpretieren wissen. Denn freilich hat in der Familie jeder einen Stammplatz. Gleiches gilt für die Schule, für die Besprechung in der Firma und auch ganz besonders für die Karriere als solches. Denn hat jemand in der Wirtschaft eine bestimmte Stufe erreicht, genießt er üblicherweise eine Stammplatzgarantie.

Keiner wird vom Platz gestellt

Zwar ist das Heuern und Feuern, wie es die Bundesliga bei ihren Trainern schon lange praktiziert, auch in deutschen Chefetagen in Mode gekommen. Doch wird selten jemand wirklich vom Platz gestellt. Der Einkaufsleiter brilliert nur beim Einkauf seiner Büromöbel? Soll er doch als Verkaufsleiter weitermachen. Der Marketingchef kann nur sich selbst vermarkten? Zum Trost darf er als Gebietsleiter Südostasien nach Singapur wechseln. Der Vorstandsvorsitzende hat Milliarden an der Börse versenkt? Mindestens wird ihn ein Finanzinvestor als Berater an Bord holen.

Da mögen noch so viele Talente auf der Reservebank sitzen: Aus Angst vor Ärger oder dem Arbeitsrichter lässt so mancher Chef eine Gurkentruppe an Stammspielern gewähren. Lieber nimmt er in Kauf, dass er mit der Mannschaft nie in der Champions League spielen wird. Häufig aus Loyalität zu jenen, die sofort über die Kälte der Leistungsgesellschaft klagen, sobald sie sich ihren Stammplatz gesichert haben.

Eine Frage der Loyalität

Nun muss man nicht gleich zum Prinzip jener modernen Firmen übergehen, in denen es keine festen Plätze mehr gibt. In denen Mitarbeiter morgens mit Rollwägen durch die Flure ziehen, um sich für einen Tag ein Büro zu erobern.

Doch für einen Chef sollte das Pflicht sein: Jemandem schonend beibringen, dass er seine stärksten Jahre hinter sich hat und mit ihm nach alternativen Karrierewegen suchen. Jemandem vermitteln, dass man ihn auf den falschen Posten gehievt hat und mit ihm nach Auswegen fahnden. Jemandem verklickern, dass er Stärken hat, mit denen er außerhalb des Teams viel besser punkten könnte. Sich so um die einem Anvertrauten zu kümmern, ist eine Frage der Loyalität - auch denen gegenüber, die auf der Ersatzbank sitzen und auf ihren Einsatz warten.

© SZ vom 27.10.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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