Führungsspitzen:Herausforderung, du bist umzingelt!

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Probleme? Nein! Lieber reden Chefs von Herausforderungen - und ignorieren mit moderner Nebelwerfer-Rhetorik jede Schwierigkeit.

D. Deckstein

Deutschland ist der größte Markt und unsere größte Herausforderung zugleich" - in diesem Fall für Telekom-Chef René Obermann. "Einen Wandel zu gestalten, wäre auch ohne Rezession eine außergewöhnliche Herausforderung", erkennt glasklar Daimler-Chef Dieter Zetsche die desolate Lage seiner Branche. "Das ist keine Ölkrise wie 1973, sondern vielmehr eine Herausforderung", sah sich Chevron-Chef David O'Reilly letzten Sommer von der Ölpreisexplosion offenbar persönlich zum Duell gefordert.

Probleme? Nein: vielmehr eine Herausforderung. (Foto: Foto: ddp)

Und wenn Forscher des Fraunhofer-Instituts zum Schluss kommen, dass die "Herausforderung für die Industrie darin liegt, alle nationalen und internationalen Lebensmittelverordnungen bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Effizienz zu befolgen", hört man schon heraus, dass so ein Unterfangen ohnehin eher der Quadratur des Kreises gleichkommt und sie es eigentlich bleiben lassen kann, die Industrie.

Semantische Demenz

Unermüdlich an der "Verbesserung der Kosteneffizienz" - inmitten der Bankenkrise erst recht - werkelt Josef Ackermann: "Dieser Herausforderung müssen wir uns weiterhin stellen." Die Hand reichen kann er sich dabei ohne Not mit Bremens Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD): "Eine besonders große Herausforderung ist die zunehmende Zahl der Demenz-Kranken."

Was also hat es mit der auch schon an semantische Demenz (eine langsam progrediente Verschlechterung sprachlichen Wissens über die Bedeutung von Wörtern) gemahnenden Hyperinflation der "Herausforderung" - insbesondere in den Top-Management-Etagen - auf sich?

Ein Problem schreit nach Lösung

Wir können nicht viel mehr als eine ständige "Challenge" unseres gesunden Menschenverstandes darin entdecken, wie hier jegliches Problem schlicht aus der Welt geleugnet wird. "Chef, wir haben ein Problem" geht nicht. Dann hat höchstens der Problemmelder ein Problem mit seinem Chef, weil der sich durch krudes Aussprechen dessen, was ist, in seinen Allmachtsillusionen herausgefordert sieht.

Ein Problem ist eine heikle Angelegenheit, ein Problem schreit nach Lösung. Ein Problem riecht nach länger nachdenken, gründlich analysieren und dann beherzt anpacken. Eine Herausforderung indessen ist eine feine Sache: Man kann sie annehmen oder auch nicht.

Auf der nächsten Seite: Warum eine nicht gemeisterte Herausforderung eine bedauerliche Angelegenheit, aber weit selbstbildschonender als ein Scheitern ist.

So ein Pech aber auch!

In der flächendeckenden Nebelwerfer-Rhetorik der Möchtegern-Duellanten steckt eine gehörige Portion Unverbindlichkeit. Hat man die Herausforderung mannhaft angenommen, dann können einem doch - so ein Pech aber auch! - viele unvorhergesehene, widrige Umstände den schon zum Greifen nahe geglaubten Sieg entwinden. Eine nicht gemeisterte Herausforderung ist eine bedauerliche Angelegenheit, aber weit selbstbildschonender als ein Scheitern.

Käme es vielleicht einem Chirurgen in den Sinn, in den OP zu marschieren und die ihn erwartende Nierentransplantation als "Herausforderung" zu betrachten? Dem Menschen unterm Messer wäre daran gelegen, sicher sein zu können, dass der Chirurg sein Handwerk professionell beherrscht.

Was hielten wir von einem Piloten, der den Passagieren vor Beginn des Fluges mitteilt, der bevorstehende Start sei mit die größte Herausforderung für ihn, da sich 70 Prozent aller Flugunfälle während der Start- oder Landephase ereignen? Eben. Herausforderer sind jene Menschen, die stets als ihre größte Schwäche "Ungeduld" nennen. Und sich nach jeder Niederlage eine "neue berufliche Herausforderung" suchen (müssen).

© SZ vom 16.2.2009/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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