Nachrufe auf Mitarbeiter:Das letzte Zeugnis

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Die Texter von Traueranzeigen können sich sicher sein, dass die Angehörigen des Verstorbenen auf der Suche nach Trost die Zeilen in einer Anzeige ähnlich wenden werden, wie Personaler es mit Zeugnissen von Bewerbern tun. Was bedeutet es, wenn ein Mitarbeiter pflichtbewusst war? Und eine Kollegin beliebt?

Alexandra Borchardt

Der Wasserhahn hat mit dem Mülleimer gemeinsam, dass er sich in Ehen, Wohn- oder anderen Gemeinschaften hervorragend zum Testobjekt eignet. Während der Mülleimer zum Überlaufen tendiert, neigt der Wasserhahn zum Tropfen oder Sprühen. Und immer ist es derselbe Partner oder WG-Bewohner, der schließlich zupackt: den Müll hinunterbringt, die Dichtung auswechselt, den Hahn entkalkt - wofür ihm die jeweils anderen ewig dankbar sind.

Nicht immer treffen Firmen ins Herz, wenn sie um Abschiedsworte für einen aus dem Leben gerissenen Mitarbeiter ringen. (Foto: Ralph Orlowski/Getty Images)

Nur selten schafft es der Wasserhahn allerdings in das ultimative Arbeitszeugnis. Jenes, das Firmen ihren Mitarbeitern erst dann ausstellen, wenn diese zu keinem Konkurrenten mehr wechseln können: die Todesanzeige. "Du konntest einerseits einen Wasserhahn reparieren, andererseits mit hoher Präzision und Exzellenz unternehmerische Strategien (mit)entwickeln und mit großem Weitblick und intellektueller Tiefe auch komplexe Management-Themen verstehen und bearbeiten", rief ein Münchner Handelsunternehmen im Frühjahr einer Führungskraft in einer Zeitungsanzeige hinterher. Diesen Satz allein würde jeder Ehe- und WG-Bewohner als Liebeserklärung werten.

Nicht immer treffen Firmen ins Herz, wenn sie um Abschiedsworte für einen aus dem Leben gerissenen Mitarbeiter ringen. Dabei können sich die Texter sicher sein, dass die Angehörigen des Verstorbenen auf der Suche nach Trost die Zeilen ähnlich wenden werden, wie Personaler es mit Zeugnissen von Bewerbern tun. Bedeutet die Trauer um den "pflichtbewussten Mitarbeiter", dass man nun endlich Platz für jemand Kreativeren hat? War die "freundliche und beliebte Kollegin" mit der fröhlichen Art, die "uns sehr fehlen" wird, eine vom Typ Betriebsnudel? Und galt der Verstorbene als zorniger Jammerlappen, wenn in der Zeile "nach langer schwerer Krankheit" der Zusatz "mit großer Geduld ertragen" fehlt?

Belässt es das Unternehmen bei einem knappen "Tief betroffen nehmen wir Abschied von", könnte dies als Knauserigkeit gedeutet werden. Dabei macht Trauer nun mal wortlos. Und wenigstens ist es ein Beleg dafür, dass die Personalabteilung nicht im Internet unter dem Stichwort "Todesanzeigen richtig formulieren" nach Textmustern gefahndet hat.

Sehr häufig sagen Traueranzeigen mehr über die Firma aus als über denjenigen, den es zu betrauern gilt. "Herr Meier (Name geändert) war sein gesamtes Berufsleben ausschließlich für SUPERFIRMA (Name geändert) in verantwortungsvoller Position tätig", ließ da neulich ein Unternehmen drucken, den Firmennamen mehrfach in großen Lettern. Und das Unternehmen Kreativ & Originell (Name geändert) rief kürzlich seinem "Freund & Geschäftspartner" hinterher, er sei unter anderem "Menschenfischer & kreativer Vordenker, Individualist & erfolgreicher Unternehmer" und "warmherziger Mensch & Vorbild für uns alle" gewesen. Ob der Mann sich wohl gefreut hätte über so viel Corporate Identity?

Für die Angehörigen wenig erbaulich dürfte das Zusammenspiel letzter Worte gewesen sein, die eine Münchner Bank veröffentlichte. "Sie war uns stets eine wertvolle Mitarbeiterin. Ihr Tod erfüllt uns mit tiefer Trauer. Wir werden sie in guter Erinnerung behalten", hieß es da. So weit, so unverfänglich. Wenn die Firma nicht am selben Tag noch eine Anzeige für eine zweite Verstorbene platziert hätte. Darunter, und mit exakt dem gleichen Text.

© SZ vom 19.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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