"Französische Zustände" bei Studenten-Protesten:Frankfurter Fanal

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Studenten in Hessen schrecken bei Protesten gegen Studiengebühren nicht mehr vor Gewalt zurück. Auch die Polizei zeigt Härte.

Marco Finetti

Das studentische "Aktionsbündnis gegen Studiengebühren" sprach am Tag danach von einer "neuen Politisierung" und von "berechtigtem Ausdruck von Wut und Frust". Aus Sicht der Polizei war es dagegen schlicht "Gewalt und Randale", was sich da in Frankfurt abgespielt hatte. Eines war die Demonstration mehrerer hundert Studenten gegen Studiengebühren am Mittwoch in jedem Fall: die öffentlichkeitswirksamste, massivste und auch gewalttätigste studentische Protestaktion in Deutschland seit Jahren.

Einem Studenten sind am Mittwoch von der Bereitschaftspolizei am Frankfurter Hauptbahnhof Handschellen angelegt worden. Nach Angaben der Polizei vor Ort hatten mehrere Studenten zuvor im Bereich des Hauptbahnhofs Müllcontainer auf die Gleise geschoben. Im Bereich Frankfurt hatten Studenten in den vergangenen Wochen wiederholt gegen Studiengebühren demonstriert. (Foto: Foto: dpa)

Blockierte Straßen und Bahngleise, umgeworfene Müllcontainer und eingerissene Zäune, Steine gegen Polizisten, Schlagstöcke gegen Studenten, Verletzte auf beiden Seiten, mehrere Dutzend Festnahmen - in der Frankfurter Innenstadt und auf dem Gelände der Goethe-Universität ging es fast so zu wie in Paris oder Lyon während der Studenten-Unruhen in Frankreich im Frühjahr. Eben solche "französischen Zustände" - landesweite, nicht zimperliche und politisch wirksame Proteste - prophezeihen Studentenvertreter nun auch für Deutschland.

Tatsächlich gehen derzeit nicht nur in Frankfurt und anderen hessischen Universitätsstädten die Studenten zu Tausenden auf die Straße. In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen machen die Hochschüler schon seit Monaten ihrem Unmut darüber Luft, dass sie nach dem Willen der unionsgeführten Landesregierungen demnächst Studiengebühren zahlen müssen.

Und überall hat ihr Protest im Vergleich zu früher neue Formen und eine neue Qualität erreicht. Noch vor zwei oder drei Jahren ließ man es bei den Protesten gegen die Gebühren für so genannte Langzeitstudenten zumeist mit Vorlesungsboykotts oder Spaß-Aktionen bewenden. Die "Bildung zu Grabe tragen", sich bis aufs letzte Hemd ausziehen oder "für die Uni bluten" - damit konnte man "zwar Aufmerksamkeit erzielen, aber keinen Druck entfalten", wie der Soziologe Michael Hartmann feststellte.

Den Protestlern von heute genügt das nicht mehr, sie greifen zu härteren Bandagen, bei denen der studentische Zorn - ob geplant oder in Kauf genommen - auch in Gewalt umschlagen kann. Dabei machen sie sich geschickt zunutze, dass derzeit die Welt auf Deutschland blickt; die Demonstration am Mittwoch fand nicht von ungefähr in Frankfurt statt, wo am selben Abend Argentinien und die Niederlande um Platz eins fürs Achtelfinale der Fußball-WM spielten. Jochen Dahm vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren: "Mehr Aufmerksamkeit kann es gar nicht geben."

Bleibt die Frage, ob hinter alldem tatsächlich eine neue Politisierung der Studentenschaft steht. Nicht nur die Aktivisten der Studentenverbände, auch Rektoren und Professoren registrieren durchaus überrascht, dass viel mehr Studenten zu den Veranstaltungen der ASten oder den Gremiensitzungen der Hochschulen zu Studiengebühren kommen. Auch in Vorlesungen und Seminaren ist der Obolus Thema.

Wie sehr die Gebühren Deutschlands Studenten umtreiben, könnte sich am Mittwoch zeigen; dann ist ein bundesweiter Protesttag mit Kundgebungen in Wiesbaden und Hamburg geplant.

© SZ vom 23.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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