Filmbranche:Abgeschminkt

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Filmschaffende klagen über miese Arbeitsbedingungen - und organisieren sich.

Ingrid Weidner

Jedes Jahr im Juni steigt der Glamour-Pegel an der Isar. Schauspieler, Regisseure und andere Filmschaffende stolzieren über die roten Teppiche, setzen ein siegessicheres Lächeln für die Kameras auf und feiern ihren Erfolg. Während im großen Saal des Münchner Kulturzentrums Gasteig Preise verliehen werden, geht es nebenan in der "Black Box" um die Schattenseiten des Filmgeschäfts. "Mit Hartz und Ein-Euro-Job zum Oscar?" ist der Titel einer von vielen Veranstaltungen, in der Filmschaffende über Existenzängste und prekäre Arbeitsverhältnisse sprechen.

"Und - danke. Das war's!" Schauspieler arbeiten in Projekten. Nach einem Film kommt für die meisten eine längere Drehpause, in der sie nichts verdienen. (Foto: Foto: iStockphoto)

Unter der glitzernden Oberfläche des Filmgeschäfts verbirgt sich eine andere Realität. Zu künstlerischem Selbstzweifel und der Jagd nach der nächsten Rolle gesellt sich die Angst vor dem sozialen Abstieg. Die Auswirkungen der Hartz-Reformen bringen gerade Filmschaffende in Bedrängnis, denn in der Regel sind sie auf Projektbasis angestellt.

Eine Studie zur Arbeitssituation von Film- und Fernsehschaffenden von Connexx, einer Interessenvertretung in der Gewerkschaft Verdi, belegt die desolate Situation. Befragt wurden fast tausend Filmschaffende aus mehr als 60 Berufen - vom Beleuchter bis zum Kameramann, von der Requisitenhilfe bis zum Regisseur. Manche erhalten für die Produktionsdauer einen befristeten Arbeitsvertrag, andere werden als Selbständige engagiert. Mehr als die Hälfte hat zehn oder mehr Jahre Berufserfahrung und kennt das Geschäft: lange Drehtage, unstete Arbeitsbedingungen und ein permanenter Kostendruck. 78 Prozent sind mit ihrer sozialen Absicherung unzufrieden, 58 Prozent blicken einer ungewissen Zukunft entgegen. Ein Viertel der Befragten würde gerne sofort den Job wechseln, ein weiteres Viertel schließt einen späteren Wechsel nicht aus.

Rückschlüsse auf einzelne Berufsgruppen sind schwierig. "Die Filmbranche ist sehr heterogen. Die Pilotstudie ist die erste groß angelegte Befragung von Filmschaffenden", sagt der Kölner Sozialforscher Rolf Satzer, der die Untersuchung verantwortet. Die schlechten Arbeitsbedingungen der Branche zeigten sich deutlich, meint er. Überrascht war er von der gesundheitlichen Gefährdung. 88 Prozent der Befragten fühlen sich stark oder sehr stark durch die Arbeitszeiten belastet, für 92 Prozent gehört Mehrarbeit häufig dazu. Ein Teilnehmer erklärte: "Ich liebe meinen Job, auch wenn es Ausbeutung ist." Doch permanente Selbstausbeutung macht krank.

Der Alltag eines Schauspielers sieht anders aus, als sich das die meisten Kinobesucher oder Fernsehzuschauer vorstellen. Warten und immer bereit sein, wenn es nach einer längeren, unfreiwilligen Drehpause plötzlich ein Angebot für eine Episodenhauptrolle in einer Fernsehkrimireihe gibt. In der kurzen Vorbereitungsphase studiert der Akteur seine Rolle, nimmt Reit- oder Tanzstunden, wenn es das Drehbuch vorsieht, steht für Masken- und Kostümproben bereit.

In der Zwischenzeit verhandeln die Agentur des Schauspielers und die Produktionsfirma über die Vertragsbedingungen. Üblicherweise sind für eine Episodenhauptrolle höchstens fünf Drehtage eingeplant, die sich über mehrere Monate verteilen können. In vielen Verträgen gibt es Sperrklauseln, damit die Akteure keine anderen Engagements annehmen. Gezahlt werden nur diese fünf Tage.

Alles abgegolten

Für Schauspielergagen gibt es keine Tarifverträge. "In einer Low-Budget-Produktion liegt die Tagesgage bei 300 bis 400 Euro", sagt Michael Kerwer von der Kölner Künstlervermittlung. Nur die wenigen prominenten Schauspieler können zwischen 1000 und 3500 Euro pro Drehtag verdienen, Spitzengagen von 10.000 Euro oder mehr sind laut Kerwer zwar möglich, doch die große Ausnahme.

Mit dem Honorar sind grundsätzlich alle Leistungen abgegolten: vorherige Masken- und Kostümproben, Besprechungen mit dem Regisseur, Überstunden während des Drehs und Nachsynchronisieren. Manche Akteure müssen für unterfinanzierte Filmprojekte auf eigene Kosten zum Drehort anreisen, erzählt Kerwer. Nach Drehschluss beginnt das Warten auf die nächste Rolle.

Film- und Fernsehschauspieler sind grundsätzlich nur während der Produktionszeit angestellt. Ob ein Drehtag fünf oder 15 Stunden dauert, spielt keine Rolle. In dieser Zeit zahlen sie Beiträge an die Sozialversicherung, doch nur wenige von ihnen kommen in den Genuss von Arbeitslosengeld. Denn dafür müssten sie 360 Beschäftigungstage innerhalb zwei Jahren nachweisen. Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben die wenigsten. Die Gewerkschaft Verdi fordert deshalb mit dem Slogan "Fünf statt zwölf": Nicht zwölf, sondern fünf Monate müssten ausreichen, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erwerben.

Mit den Reformen des Arbeitsmarktes und den Hartz-Gesetzen hat sich die Situation verschärft. "Das ist ein großes Problem", sagt Michael Schäfermeyer, Leiter der Künstlervermittlung bei der Münchner Arbeitsagentur. Zwar habe man auf diese Missstände hingewiesen, doch eine Überarbeitung seitens der Politik steht aus.

"Bevor jemand Hartz IV beantragt, sollte er erst seine Rücklagen aufbrauchen oder seine Oma beklauen", empfiehlt Heinrich Schafmeister ironisch. Der Schauspieler ("Comedian Harmonists", "Sams", "Wie erziehe ich meine Eltern?") hat im vergangenen Jahr mit sechs Kollegen den Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS) in Berlin gegründet.

Mittlerweile engagieren sich etwa 700 Schauspieler in diesem Verband. Als Lobbygruppe weisen sie auf ihre prekäre Situation hin. Angst um ihr Image haben die prominenten Engagierten nicht: "Wir wollen an unseren Arbeitsbedingungen zeigen, was gesellschaftlich schief läuft", sagt Schafmeister. "Dafür leihen wir all denen, die ebenfalls betroffen sind, unser Gesicht."

Mehr als andere Branchen leidet das Filmgeschäft unter Kostendruck und Sparmaßnahmen. Sender kürzen Budgets, Produzenten geben die schlechteren Bedingungen an ihre Vertragspartner weiter. Wenn beispielsweise weniger Drehtage für einen Tatort-Krimi die gleiche Qualität bieten sollen, verschärfen sich die Arbeitsbedingungen für das komplette Filmteam. "Öffentlich-rechtliche Sender lagern gerne an private Produktionsfirmen aus und tun so, als ob sie sich in einer rechtsfreien Zone bewegen", sagt Schafmeister. "Nicht alle Produzenten sind schwarze Schafe. Aber allen ist klar, dass sich etwas ändern muss."

Deshalb verhandelt der Verband mit Politikern und Produzenten. "Wir brauchen Rechtssicherheit. Der Verband bespricht beispielsweise mit den Produzenten, wie auf Basis der geltenden Bestimmungen Schauspieler sozial versichert werden müssen. Entscheidend ist die tatsächliche Vertragszeit, es sind nicht die einzelnen Drehtage", sagt Schafmeister.

Zur Berlinale im Februar schlossen sich zehn Verbände der Film- und Fernsehbranche zur Arbeitsgemeinschaft "Die Filmschaffenden" zusammen. "Mit Ein-Euro-Jobs kommt man nicht zum Oscar", sagt Michael Neubauer, Geschäftsführer des Bundesverbands Kamera, der zu den "Filmschaffenden" gehört.

Viele beginnen, sich für ihre Rechte einzusetzen und engagieren sich für Mindeststandards, um die kulturelle Vielfalt und die eigene Existenzgrundlage zu sichern. Aber es geht auch um ein ehrlicheres Image jenseits des Boulevards. "Viele sehen uns so: Wir stehen außerhalb der Gesellschaft und führen ein glamouröses Leben", sagt Schafmeister, "doch wir möchten die uns zugedachte Außenseiterrolle nicht spielen. Wir wollen Respekt für unsere Arbeit."

© SZ vom 28.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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