Fachkräftemangel:"Kein Grund zur Panik"

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Unternehmen klagen über Bewerbermangel, arbeitslose Fachkräfte über Absagen. "Der Arbeitsmarkt ist nicht völlig leergefegt", sagt Franziska Schreyer.

Christine Demmer

Viele Firmen tun sich schwer mit der Suche nach dem passenden Personal, Wirtschaftsforscher registrieren bereits einen akuten Fachkräftemangel, Bildungsministerin Annette Schavan will den Zuzug für ausländische Experten erleichtern - zugleich sind nach wie vor viele qualifizierte Menschen arbeitslos. Wie das alles zusammenpasst, erklärt die Soziologin Franziska Schreyer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Arbeitsbedingungen für "aufstiegsorienterte Männer": Unternehmen könnten mehr Fachkräfte gewinnen, wenn sie stärker auf weibliche Bewerber achten, meint Schreyer. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Landauf, landab klagen die Unternehmen in den technischen Bereichen über fehlende Fachkräfte. Müssen wir die Ingenieure bald importieren?

Schreyer: Mittelfristig steuern wir auf einen breiten Fachkräftemangel zu. Deutschland muss sich auch aus diesem Grund stärker für Migranten öffnen. In der Diskussion um den gegenwärtigen Ingenieurmangel wird aber übertrieben. Zwar deuten sich etwa bei den Maschinenbau- und Elektroingenieuren Engpässe an, das heißt, es kann insbesondere für mittelständische Betriebe schwierig werden, qualifizierte Kräfte zu finden. Aber bei den Bauingenieuren und Architekten gibt es noch viele Bewerber. Und selbst unter den Maschinenbau- und Elektroingenieuren sind noch viele arbeitslos, nämlich mehr als 10.000. Selbst hier ist der Arbeitsmarkt also nicht völlig leergefegt.

SZ: Im Mai waren insgesamt knapp 27.000 Ingenieure in Deutschland arbeitslos gemeldet. Warum finden Topf und Deckel nicht zueinander?

Schreyer: Zu einem Großteil handelt es sich hierbei um Ingenieure im mittleren und fortgeschrittenen Alter. Das ist ein klares Vermittlungshindernis, die meisten Firmen bevorzugen junge Ingenieure mit aktuellem Wissen. Darüber hinaus sind Ingenieurinnen doppelt so häufig arbeitslos wie Ingenieure. Eine Ursache dafür ist der Mangel an Teilzeitstellen. In den Ingenieurberufen stehen gerade mal zwei Prozent bereit, verglichen mit 16 Prozent in den anderen Berufen. Dabei würden nachweislich auch viele junge Ingenieure gerne Teilzeit arbeiten, wenn es solche Stellen gäbe.

SZ: Grundsätzlich gibt es also nicht zu wenig Ingenieure in Deutschland, sondern zu wenig junge, männliche Ingenieure mit direkt einsetzbarem Know-how?

Schreyer: Ich würde es so formulieren: Betriebe nutzen vorhandene Potentiale nicht voll aus. Sie sollten sich stärker für Frauen und ältere Arbeitslose öffnen.

SZ: Warum engen die Arbeitgeber ihre Suche auf Jungmänner ohne akuten Qualifizierungsbedarf ein?

Schreyer: Sowohl die Arbeitskultur als auch die Arbeitszeiten im Ingenieurberuf sind weitgehend auf aufstiegsorientierte Männer zugeschnitten. Frauen müssen sich dem anpassen - wenn sie das nicht wollen, bleiben sie draußen. Ältere Erwerbstätige leiden darunter, dass Arbeitsplatz-Treue und Erfahrungswissen bei uns vielfach noch nicht den Stellenwert haben, den sie verdienen. Weiterbildung wird eher als Aufwand denn als Investition betrachtet.

SZ: Die Unternehmen könnten also aus eigener Kraft gegen den Mangel an Ingenieuren vorgehen?

Schreyer: Sagen wir so: Im Moment sehe ich keinen Anlass zur Panik. Es gibt aber genügend Gründe, die dafür sprechen, die traditionellen Einstellungskriterien auf den Prüfstand zu stellen. Der demografische Wandel wird das Problem nicht verringern, sondern verschärfen. Gefordert ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen. An allererster Stelle steht eine erneute Bildungsexpansion - nicht in der fernen Zukunft, sondern jetzt. Deutschland hat ein höheres Potential an ausbildungsfähigen Personen, als es derzeit erschließt. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Elternhäusern müssen früh gefördert und dürfen nicht ausgegrenzt werden. Hier haben wir auch im Vergleich mit anderen Ländern einiges aufzuholen.

© SZ vom 30.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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