Europa-Universität Viadrina:Ein Pausenhof zwischen den Welten

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An der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder studieren Polen und Deutsche - manchmal eher neben- als miteinander.

Von Arne Boecker

Der Pausenhof schwimmt mitten in der Oder. Die Studenten der Europa-Universität müssen aus dem Hörsaal nur über eine Brücke schlendern, um zwischen den Welten zu flanieren: Am Ostufer liegt das polnische Slubice, am Westufer das deutsche Frankfurt (Oder). Sie können durch den "Europahain" wandeln, der auf Polnisch "Gaj Europejski" heißt. Derzeit harken allerdings nur ein paar ABM-Kräfte in Gärtnergrün den Hain. Auf Studenten trifft man erst wieder nach Ostern, wenn das Sommersemester beginnt.

Die Universität mit dem Pausenhof im Fluss trägt den schönen Namen "Viadrina": Die an der Oder gelegene. Ihre Geschichte reicht bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts zurück. Wie im Brennglas bündeln sich hier alle Hoffnungen, die von Europa ausgehen. An der Viadrina hat man jedoch gelernt, dass es anstrengend sein kann, Feiertagsreden zum Thema Völkerverständigung in den Alltag zu übersetzen. Der ist nämlich oft wenig festlich: Ausgerechnet im Jahr der EU-Osterweiterung hat das bitterarme Land Brandenburg angekündigt, keine Stipendien für polnische Studenten mehr zu finanzieren.

Bürgerrechtler nutzten 1990 die Wendewirren, um die Viadrina als "Europa-Universiät" wiederzubeleben. Junge Menschen aus Deutschland und Polen sollten dort studieren, wo nur ein Fluss ihre Heimatländer trennt. Die Oder-Pioniere dürften jedoch kaum damit gerechnet haben, dass Polen so schnell von der Europäischen Gemeinschaft adoptiert werden würde.

Drei Fakultäten und ein paar Besonderheiten

Die Viadrina ist eine kleine Universität, mit drei Fakultäten (Jura, Wirtschaftswissenschaften, Kulturwissenschaften) und ein paar Besonderheiten. Von den 5100 jungen Frauen und Männern, die es hierher verschlagen hat, sind 3100 Deutsche und 1500 Polen; dazu kommen 500 weitere Ausländer aus 75 Nationen von Äthiopien bis Zypern. In der Gründungsdenkschrift der Viadrina ist verankert, mindestens ein Drittel der Studentenschaft aus Polen kommen soll. "Insgesamt beträgt unser Ausländeranteil 40 Prozent, der Durchschnitt an deutschen Universitäten liegt bei zwölf Prozent", sagt mit hörbarem Stolz Gesine Schwan, Präsidentin der Viadrina seit 1999 und nun SPD-Kandidatin für die Bundespräsidenten-Wahl im Mai. Die Europa-Universität setzt damit ein Zeichen in einer Stadt, die auch schon wegen rechtsradikaler Prügeleien aufgefallen ist.

Um auf der Oderbrücke aus dem deutschen Frankfurt in das polnische Slubice zu spazieren, braucht man heutzutage nur den Personalausweis. Nach 150 Metern findet sich, wenn man so will, auf der linken Seite die Vergangenheit der deutsch-polnischen Beziehungen, während rechts die Zukunft glitzert. Links drängeln sich Lädchen für billige Zigaretten und Haarschnitte sowie ein Disco Pub. Rechts steht das Collegium Polonicum.

Das Collegium ist das Herz der Universität, die mit einem Bein am deutschen und mit einem am polnischen Ufer steht. Gemeinsam getragen von der Viadrina und der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen soll es deren Studiengänge ergänzen. Bis das Collegium gegründet werden konnte, war viel Wasser die Oder hinunter geflossen, erinnert sich Viadrina-Sprecherin Annette Bauer: "Es war ein Kraftakt, den polnischen Zentralismus und den deutschen Föderalismus miteinander zu vereinbaren." Das Collegium Polonicum ist hell und modern. Im Foyer hängen Zettel an der Pinnwand, auf denen der AStA eine Kummer-Nummer für "Problemy z Ausländerbehörde" anbietet.

Zehn Bewerber pro Studienplatz

Die jungen Polen, die am Collegium beziehungsweise der Viadrina studieren, zählen zu den Besten ihrer Jahrgänge. Die Hürden, was Noten und Sprachkenntnisse betrifft, sind hoch für den, der nach Frankfurt/Slubice möchte. Das Collegium bietet unter anderem einen MBA-Studiengang "Management for Central and Eastern Europe". Er zieht zehnmal mehr Interessenten an, als aufgenommen werden können.

Die künftigen Manager sollen sich in Ost und West auskennen. "So gesehen haben wir die EU-Osterweiterung schon vor Jahren vorweg genommen", sagt Präsidentin Gesine Schwan. Natürlich ist die Viadrina kein Ideal-Europa an der Oder. Selbst nach 13 Jahren studieren Deutsche und Polen eher nebeneinander her. Vor einem "rhetorischen Overkill" warnt auch Karl Schlögel, Osteuropa-Historiker an der Viadrina. "Brückenstadt" solle Frankfurt sein und "Brücke der deutsch-polnischen Verständigung", wenn nicht sogar "Experimentierplatz für ein neues Europa" - ganz schön viel für eine arme, kleine Stadt zwischen zwei Ländern.

Lukasz in die Oder

Und auch an der Viadrina ist das Geld knapp. Lediglich 55 Professoren unterrichten die 5100 Studenten, die Uni-Leitung musste Hilfskräften die Stunden kürzen. Das Sprachenzentrum, auf das die Viadrina besonders stolz ist, kann den Andrang kaum bewältigen. Jetzt hat das Land Brandenburg bekannt gegeben, dass es ab 2005 Stipendien für polnische Studenten nicht mehr bezuschusst. Präsidentin Schwan war zwar immer klar, dass die Förderung auslaufen würde, aber "ausgerechnet zur Osterweiterung sieht das ein bisschen unglücklich aus". Vielen jungen Polen würde so die Chance genommen, im Westen zu studieren. Das Wissenschaftsministerium in Potsdam hält dem entgegen, dass die Zahl der polnischen Studenten immer noch steige, obwohl die Förderung bereits seit einiger Zeit zurückgefahren werde.

Doch alle Proteste haben die Politiker nicht umgestimmt. Unter anderem warfen Studenten eine Stoffpuppe, "Lukasz" genannt, von der Oderbrücke. Weil eine Anzeige wegen Umweltverschmutzung hätte drohen können, wurde "Lukasz" aber nur kurz in den eiskalten Fluss getunkt und dann am Seil wieder auf die Brücke gehievt - ein sehr deutsch anmutender Protest.

© SZ vom 30.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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