Erfolgreiche Jobsuche:Der lange Weg zurück

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Wie es sich anfühlt, nach einer langen Zeit der Arbeitslosigkeit plötzlich wieder eine Anstellung zu haben.

Frank Schmitter

"Kommen Sie also übermorgen um neun, dann werde ich Sie den anderen Mitarbeitern vorstellen." Ich lege den Telefonhörer auf. Eigentlich sollte ich jetzt jubilieren, im Zimmer herumtanzen, vielleicht die Ordner mit den Absagen nehmen und daraus Papierflieger falten. Oder all diesen Firmen - und all jenen, die gar nicht geantwortet haben und offenbar teure Bewerbungsmappen horten wie Depotscheine - selbst einen Textbaustein-Brief schreiben: "Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihr Interesse an meiner Mitarbeit, aber bedauerlicherweise habe ich mich in der Zwischenzeit für einen anderen Arbeitgeber entschieden."

Einzelschicksal, millionenfach: Job verloren, arbeitslos. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Ich könnte auch den Schriftverkehr mit der Arbeitsagentur hervorziehen, an den babylonischen Formular-Wirrwarr denken, an die nicht funktionierenden EDV-Suchmaschinen, die dauerbesetzten Telefone, die chronisch überlasteten Mitarbeiter, und triumphierend die so genannte Veränderungsanzeige ausfüllen, ein rotes Formblatt, auf dem man den Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses einträgt. Oder meine Eltern, meine Freunde und die Kollegen aus den Fortbildungskursen anrufen.

Aber ich tue nichts von alledem. Der ruhig ausgesprochene Satz meiner zukünftigen Chefin bleibt auf eine merkwürdige Weise abstrakt, als könne er sein Erlösungspotenzial noch nicht entfalten. Offenbar sind 15 Monate Arbeitslosigkeit nicht mit einem einzigen Satz auszuwischen. In diesem Moment denke ich nicht an übermorgen, ich denke an die letzten anderthalb Jahre.

Opfer des Denkfehlers

Es war eine Arbeitslosigkeit mit langer Eingewöhnungszeit. Nach der Insolvenz meines Arbeitgebers wurde ich mit sechsmonatiger Frist gekündigt. Sechs Monate. Das sollte ausreichen, um eine neue Stelle zu finden. Es sollte den Besuch beim Arbeitsamt, dieses als demütigend empfundene Ziehen einer Nummer, das Warten auf den Gängen, das Gespräch mit der Sachbearbeiterin (bei dem ich mich schuldig fühlte, als hätte ich mir durch Fahrlässigkeit eine schwere Krankheit zugezogen) auf dieses eine Mal beschränken. Es sollte gleichsam ein Ausrutscher sein. Die sehen mich hier nie wieder, schwor ich mir, in sechs Monaten habe ich längst einen neuen Job.

Hatte ich nicht. Ich wurde Opfer des Denkfehlers: Die Statistik, das sind doch nur die anderen. Ich kannte die Arbeitslosenzahlen, ich kannte die Krise meiner Branche, wusste um die Tendenz, dass 47 Lebensjahre nicht als Plus an Erfahrung, sondern als Minus an Leistungsfähigkeit gelten. Ich kannte die wirtschaftliche Realität und fühlte mich als die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Der Alles-Prima-Panzer bricht

Dieser Verdrängungsprozess hielt ungefähr 40 Bewerbungen um ausgeschriebene Stellen und 120 Initiativbewerbungen stand. Ich legte einen Ordner für Absagen an. Ich hatte kein einziges Vorstellungsgespräch. Wenn meine Bewerbungsmappe zurückkam, ließ ich sie zwei Tage liegen, bevor ich die Kraft fand, den Umschlag zu öffnen. Wenn lediglich ein schlichter Brief eintraf, riss ich ihn, noch am Briefkasten stehend, auf, aber statt einer Einladung zu einem ersten Gespräch wurde ich lediglich um Geduld gebeten, da die Vielzahl an Bewerbungen eine längere Bearbeitungszeit erforderte.

Mein Schlaf wurde brüchig. Manchmal zog ich mich morgens an, ging mit einer Aktentasche zur S-Bahn und stellte mich im hellen Anzug zu den Pendlern. Aber ich stieg nicht ein. Langsam dämmerte mir, dass meine Arbeitslosigkeit keine vorübergehende Phase, sondern ein endgültiges Urteil, lebenslänglich, bedeuten könnte. Kann man es akzeptieren? Kann man lernen, damit umzugehen? Ich gehöre zu denen, die das Wort "Karriere" nie mochten, aber für die Arbeit so ein natürlicher Baustein des Lebens ist wie Essen und Trinken, wie Freunde und Familie. Arbeit positioniert den Einzelnen in die Gesellschaft, Arbeitslosigkeit drängt ihn an den äußersten Rand - hinter sich der freie Fall.

Mein Blick auf andere veränderte sich. Im Biergarten, in der Kneipe nach einem Theaterbesuch betrachtete ich verstohlen andere Männer meines Alters, maß ihre Anzüge, ihre Uhren, hörte sie von ihrem Kurztrip nach Venedig reden oder von der Rechnung des Architekten für ihr Wochenendhaus in Österreich. Was hatten sie, was ich nicht hatte? Warum traf es mich und nicht sie? Fänden sie auf Anhieb einen neuen Job?

Gleichzeitig spürte ich, als wäre es ein Gegenentwurf, eine größere Nähe zu den Bewohnern in meinem Mietshaus, von denen einige ebenfalls arbeitslos waren. Wenn wir vorher nur Gesprächsfloskeln aufboten, während wir unsere Wäsche aufhängten, redeten wir nun wirklich miteinander. Solidarität und Nähe. Wir halfen uns bei Besorgungen und Einkäufen. Die Alles-Prima-Panzer brachen auf, wir sprachen über finanzielle Engpässe und kriselnde Partnerschaften. Der zuvor kühle, unnahbare Filialleiter brach seine filterlose Zigarette in der Mitte durch, um sie mit mir im Kellerabgang zu rauchen.

Und mein Verhältnis zur Zeit änderte sich. Ein Job teilt die Woche in Arbeitstage und Freizeit, teilt die 24 Stunden eines Tages in Arbeitszeit und Freizeit. Diese Struktur ging mir zusehends verloren. Man kann eine Bewerbung auch am Wochenende oder dienstags um 21 Uhr schreiben. Man kann nachts im Internet nach Stellen suchen. Und am Sonntag zwischen dem Bügeln und Kochen sein Business-Englisch aufbessern. Das Maß an Freizeit, so empfand ich es, rechtfertigt sich durch das Maß an Arbeit. Wenn letzteres fehlt, geht auch der Genuss an Freizeit den Bach herunter.

Paradoxe Einsicht

Nachdem die traditionellen Bewerbungen erfolglos blieben, absolvierte ich über das Arbeitsamt einen Kurs zur Eignungsfeststellung, Stichwort: Ich-AG. Also eher aufrecht als Selbstständiger scheitern denn kampflos, mit gebeugtem Rücken ein Fall für Hartz IV werden. Ich sollte dort erfahren, was ich bin, was ich kann, und welche Nische im unendlichen Feld der Dienstleistungen ich entdecken könnte. Sechs Wochen mit Rollenspielen, Selbstvermarktungsstrategien und Persönlichkeitstests, die teils albern und teils sinnvoll waren, mit wechselnden Dozenten, die teils motiviert und fähig und teils erschreckend inkompetent waren.

Am Ende stand weniger eine fundierte Selbsterkenntnis (an der sich Psychologen bekanntlich mehrere Jahre abmühen), sondern die paradoxe Einsicht, dass Arbeit in unserer Kultur weniger die allseits beschworene Selbstverwirklichung darstellt, sondern eine mächtige Schutzfunktion ausübt, den Schutz nämlich vor der Frage, wer man eigentlich ist und was man will.

Wer einen Job hat, muss sich damit nicht beschäftigen, er ist hinreichend über die Arbeit definiert. Wer keinen hat, stürzt schnell in einen Strudel aus Unsicherheit und Zweifeln, die den Weg zu einer neuen Betätigung noch länger und dornenreicher werden lassen. Wenn man 20-, 50- oder 200-mal gehört hat, dass man nicht gebraucht wird, dass die Kompetenzen für einen Job nicht ausreichen, dass man anderen unterlegen ist - dann geht leicht jenes Grundvertrauen in sich selbst verloren, das Voraussetzung ist, um neue Wege zu gehen, mit nichts als sich selbst als Startkapital.

Ein Friedhof voller Ich-AGs

Ich weiß nicht, ob es mir gelungen wäre, mich neu zu erfinden und selbstständig zu machen. Die Statistik (wenn ich sie in diesem Fall bereitwillig auf mich selbst anwende) kann einen nicht ermuntern, die Ich-AGs graben den wohl größten Friedhof des Arbeitsmarktes. Ich hatte mehrere Ideen, in Gesprächen mit Freunden reiften sie zu Plänen, die wiederum zu einem Businessplan hätten reifen müssen, um von den Behörden anerkannt zu werden.

In diese Phase traf die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, zum ersten überhaupt nach 13 Monaten. Für eine interessante Stelle, die sich auf Augenhöhe mit meinen Kompetenzen und Neigungen befindet. Ein Glücksfall. Die letzte Ausfahrt in das klassische Angestelltenverhältnis. "Kommen Sie übermorgen." Ich spreche diesen Satz mehrmals laut vor mich hin, gehe im Zimmer auf und ab und schreibe den Satz schließlich auf ein Blatt Papier. Noch immer ist er abstrakt, beinahe unwirklich.

© SZ vom 24.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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