Empfehlungen des Wissenschaftsrates:Die Lehr-Milliarde

Lesezeit: 3 min

Der Wissenschaftsrat fordert 1,104 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich, damit die Hochschulen die Lehre verbessern - denn Professoren seien als Lehrende Autodidakten.

Tanjev Schultz

Wenn sich die Vertreter der deutschen Hochschulen treffen, kommt dabei am Ende fast immer eine Resolution heraus, in der sie mehr Geld fordern. Die Finanzminister haben sich daran gewöhnt, es beeindruckt sie meist wenig. Im Falle des Gutachtens, das am Freitag der Wissenschaftsrat verabschiedet hat, ist es nicht ganz so leicht, sich taub zu stellen. Der Rat fordert 1,104 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich für die Hochschulen, damit sie die Lehre verbessern und den Studenten bessere Studienbedingungen bieten können. Der Wissenschaftsrat ist das wichtigste hochschulpolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern, ihm gehören nicht nur Professoren, sondern auch alle Fachminister an. Das verleiht seinem Gutachten Gewicht. Vor allem aber belässt es der Rat nicht einfach beim Fordern. Er listet auch genau auf, wofür das Geld nötig sei.

Studenten im Hörsaal: Lehrprofessoren sollen sich künftig intensiver um sie kümmern. (Foto: Foto: dpa)

Um die Studenten besser betreuen zu können, müsse die Zahl der Professoren in den Geistes- und Sozial- sowie in den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften um etwa 33 Prozent steigen, in anderen Fachgebieten um zehn Prozent. Dabei orientiert sich die Expertise an Richtwerten aus der Schweiz, denen zufolge auf einen Professor höchstens 20 bis 40 Studenten kommen sollten. In Deutschland sind es derzeit im Durchschnitt mehr als 60, in Fächern wie Germanistik und BWL sogar mehr als 100.

Engpässe in der Lehre

Um die zusätzlichen Professoren bezahlen zu können, veranschlagt der Rat Kosten in Höhe von mehr als 357 Millionen Euro im Jahr, womit die Schweizer Richtwerte allerdings noch immer nicht erreicht werden könnten. Es wäre aber kaum möglich, auf einen Schlag Hunderte neue Professuren zu besetzen - dies könnte schon daran scheitern, "dass das dafür erforderliche qualifizierte Personal kurzfristig nicht zur Verfügung stünde", heißt es in dem Gutachten.

Die Hälfte der zusätzlichen Professuren sollen nach dem Willen des Wissenschaftsrats durch Lehrprofessoren besetzt werden, die nur etwa ein Drittel ihrer Arbeitszeit der Forschung widmen sollen, zwei Drittel dagegen der Lehre. "Auf diese Weise ließe sich das jährliche Angebot an Deputatstunden kostenneutral nochmals erhöhen" - in den Augen von Kritikern ein Beleg dafür, dass die Lehrprofessur nur dafür gedacht sei, möglichst billig Engpässe in der Lehre zu beseitigen. Der Wissenschaftsrat beteuert dagegen, mit den Lehrprofessoren verbinde sich ein Wandel in der Haltung der Wissenschaftler zur Lehre. Bisher habe die Lehre im Berufsbild der Hochschullehrer ein zu geringes Gewicht, bei Berufungen spiele sie noch immer kaum eine Rolle. Und oft würden junge Nachwuchswissenschaftler "über Gebühr mit Lehraufgaben betraut".

Auf der nächsten Seite: Warum nötige Veränderungen nicht durch Geld allein herbeizuführen sind.

Geld für Sachmittel, Bibliotheken, Computer und zusätzliche Arbeitsplätze

Derzeit fehle es in Deutschland an einer professionellen Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit. In dem Gutachten steht: "Hochschullehrer sind als Lehrende weitgehend Autodidakten." Für Fortbildungen zur Qualifizierung der Dozenten und Professoren veranschlagt der Wissenschaftsrat jährlich 71 Millionen Euro, dazu kommen noch 15 Millionen für zehn neu zu schaffende "Fachzentren für Hochschullehre", in denen Experten für Lehr-Lern-Forschung Konzepte für einen ebenso ansprechenden wie anspruchsvollen Unterricht in den Hörsälen und Seminaren entwickeln und vermitteln sollen. Jeweils mehr als hundert Millionen Euro berechnet der Wissenschaftsrat schließlich für zusätzliche Tutoren, Hilfspersonal und ein Beratungssystem zur individuellen Betreuung der Studenten. Darüber hinaus fordert er Geld für Sachmittel, Bibliotheken, Computer und zusätzliche Arbeitsplätze.

Zwar dringt der Rat auf einen Mentalitätswandel in den Hochschulen, den man durch Geld allein nicht herbeiführen kann. Aber bisher fällt es manchen Professoren auch leicht, sich vor einer besseren Lehre zu drücken, indem sie auf die Überlast an den Hochschulen und auf Hunderte von Prüfungen und Seminar-arbeiten verweisen. Der Wissenschaftsrat will nun die wechselseitige Blockade durchbrechen, "ein Ende der verhärteten Haltung: kein Geld ohne Reformen - keine Reformen ohne Geld".

Das neue Gutachten bezieht sich allerdings nur auf die derzeitigen Studentenzahlen, es berücksichtigt nicht den Ausbaubedarf der kommenden Jahre, wenn nach den Prognosen der Kultusminister die Zahl der Studenten noch einmal stark steigen soll.

Der Wissenschaftsrat nennt die geforderte verbesserte Finanzierung der Hochschulen eine "Aufgabe in gesamtstaatlicher Verantwortung". Damit verweist er indirekt darauf, dass das Thema eine wichtige Rolle bei dem für Oktober geplanten Bildungsgipfel der Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel spielen müsste.

© SZ vom 7.7.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: