Einheitsschulbücher:Das Sommer-Schulbuch

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Bundesbildungsministerin Annette Schavan möchte einheitliche Schulbücher, doch ihr Vorschlag ist ein Pausenfüller für die Ferienzeit. Eine Standardisierung ist nicht denkbar.

Lother Müller

Wenn es nichts zu entscheiden gibt und alle in den Ferien sind, schlägt die Stunde der Sommerinterviews. Jetzt hat die Bundesforschungsministerin Annette Schavan dieses Genre genutzt, um für den Herbst eine ,,nationale Qualifizierungsinitiative'' anzukündigen und die Bundesländer zu mahnen, mehr für die ,,Transparenz'' des Bildungssystems und den ,,Abbau von Mobilitätsbarrieren'' tun. Die wechselseitige Anerkennung der Abschlüsse in der Lehrerausbildung sei zu verbessern. Darüber hinaus sei zu erwägen, ob sich nicht ,,in den allermeisten Fächern'' einheitliche Schulbücher für ganz Deutschland einführen ließen.

Die Schulbücher eines Düsseldorfer Kindes - lernen bayerische Schüler bald aus den gleichen? (Foto: Foto: dpa)

Einheitliche Schulbücher? In ganz Deutschland? Wer dergleichen als Bundespolitiker vorschlägt, und sei es in einem Sommerinterview, der ruft unweigerlich ein altgedientes Faktotum des politischen Lebens in Deutschland auf den Plan: das mit dem Föderalismusreflex.

Mit mürrischer Geste wischt es dergleichen Vorwitz vom Tisch, warnt mit leicht erhöhter Stimme vor den Gefahren des Zentralismus, der diesem Lande noch nie gutgetan habe, und schreibt, während es die noch gar nicht erschienenen einheitlichen Schulbücher wegräumt, an die Tafel: Schulpolitik ist Ländersache.

Da hat es recht, das Faktotum. Im Mai 2006 hat die Föderalismuskommission die alleinige Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik festgeschrieben. Aber eben weil das so ist, ist der Föderalismusreflex ein leeres, müdes Gefuchtel: Es gibt in Deutschland keine Gefahr eines bildungspolitischen Zentralismus. Die ultimative Form, in der eine Bundesforschungsministerin Schulpolitik machen kann, ist das Sommerinterview.

Partikularinteressen als Hemmschuh

Das weiß Annette Schavan, die von 1995 bis 2005 Kultusministerin in Baden-Württemberg und im Jahr 2001 Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) war. Und sie weiß auch, dass der Föderalismusreflex längst seinen Gegenstand verloren hat. In Deutschland ist nicht die Bundesregierung die treibende Kraft der ,,Standardisierung'' und ,,Vereinheitlichung'' des Bildungssystems, der die Länder mit ihren Partikularinteressen als Hemmschuh gegenüberstehen. Die entscheidende Instanz sowohl für die Wahrung von Partikularinteressen der Länder wie für die Definition und Durchsetzung von bundesweit geltenden ,,Bildungsstandards'' im Schulbereich ist ein- und dieselbe: die Kultusministerkonferenz.

Die KMK hat im Oktober 1997 den Beschluss gefasst, das deutsche Schulsystem im Rahmen internationaler wissenschaftlicher Studien untersuchen zu lassen. So kamen die PISA-Befunde ins Land. Und, wiederum, auf Beschluss der KMK, die ab Dezember 2003 eingeführten bundesweit geltenden ,,Bildungsstandards'' in den Fächern Mathematik, Deutsch und erster Fremdsprache für den mittleren Bildungsabschluss, später für den Hauptschulabschluss.

,,Schulpolitik ist Ländersache'' heißt in Deutschland: Die Kultusminister der Länder sind nicht nur für den vielbeschworenen föderalen Wettbewerb zuständig, sondern zugleich für die ,,Bundes-Schulpolitik'', die es unter diesem Titel nicht geben darf.

Faktisch kann sich die Bundesforschungsministerin nicht an die Spitze der föderalen ,,Bundes-Schulpolitik'' stellen. Dazu fehlen ihr die Kompetenzen. Sie kann aber die rhetorische Federführung beanspruchen. Eben das tut sie mit ihren Sommer-Interviews.

Das einheitliche Schulbuch ist dafür ein geeignetes Symbol. Denn das Schulbuch hat früher einmal den Unterricht gegliedert, skandiert, strukturiert: ,,Wir waren auf Seite 81 stehengeblieben ...''. Diese starke Position des Schulbuchs ist auch jüngeren Jahrgängen noch erinnerlich.

Der Kern der jüngeren Bildungsreformen aber ist die Verlagerung von der Festlegung bestimmter Lerninhalte auf geforderte Kompetenzen. Wenn die Kompetenzanforderung lautet, ein Alltagsgespräch im Café auf Englisch oder Französisch verstehen und führen zu können, dann ist nicht notwendig vorgegeben, an welchem Stoff oder Thema diese Fähigkeit geübt wird.

Grenzen der Gesetze der Mathematik

Und wenn etwa in Schleswig-Holstein der deutsch-dänische Krieg ausführlicher unterrichtet werden soll als anderswo, ist diese stoffliche Präferenz leicht an allgemeine historische Kompetenzen zu binden.

Das Schulbuch kann, aber es muss nicht das zentrale Instrument sein, mit dem Lehrer und Schüler die geforderten Kompetenzen erarbeiten. Das gilt sogar für die Fächer Mathematik und Physik, die Lieblingsbeispiele für einheitliche Schulbücher, die auch Annette Schavan jetzt wieder heranzieht.

Gewiss, die Gesetze der Mathematik und Physik nehmen auf Ländergrenzen keine Rücksicht. Auch hier garantieren die Bücher, ob einheitlich oder nicht, nur so viel, wie die Lehrer und Schüler aus ihnen machen. Die Lizenz zur klugen Abweichung ist ein hohes Bildungsgut. Sie ist die natürliche Grenze aller Standardisierung.

Bundeseinheitliche Schulbücher wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Die Bundesforschungsministerin kann sie nicht einführen. Und die Kultusministerkonferenz wird sie, wenn überhaupt, nur nach langwierigen Diskussionen auf die Tagesordnung setzen. Bis dahin ist das bundeseinheitliche Schulbuch ein Pausenfüller für die Ferienzeit.

© SZ vom 31.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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