Drogen am Arbeitsplatz:Dem Alkohol verfallen

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Sieben Prozent aller Erwerbstätigen sind alkoholsüchtig. Auch im Job bleiben sie nicht nüchtern. Hinter jedem Fall steht ein persön- liches Drama. Das Team leidet mit - indem es Fehler ausbügelt.

T. Krieger

Bei der Besprechung entlud sich der Frust. "Demnächst fange ich auch an zu saufen!" Susanne Bürger (Name geändert) rief diesen Satz in die Runde und erntete verdutzte und empörte Gesichter. Seit Jahren schon sah die Chefsekretärin mit an, wie ihrer alkoholabhängigen Kollegin faustdicke Fehler verziehen wurden, während sie sich selbst für jeden kleinen Fauxpas verteidigen musste. An diesem Tag war es wieder einmal so weit. Auch dafür, dass ihr der Kragen platzte, verteidigte sie sich letztlich wieder. Die arme Kollegin könne schließlich nichts für ihre Krankheit.

Alkohol am Arbeitsplatz: Männer greifen bis heute erheblich öfter zur Flasche als Frauen. (Foto: Foto: iStock)

Fünf bis sieben Prozent aller Erwerbstätigen sind in Deutschland der Droge Alkohol verfallen. Auch am Arbeitsplatz können sie nicht nüchtern bleiben. Die Zahl ist seit Jahren konstant. Hinter jedem Einzelfall steht ein persönliches Drama. Und oft leidet das Team mit. Indem es Fehler ausbügelt, Arbeitsausfälle auffängt, dem suchtkranken Kollegen den Rücken freihält - und sich damit zu Co-Abhängigen macht.

24,4 Milliarden Euro Schaden - jährlich

Auch der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen beziffert ihn in ihrem "Jahrbuch Sucht 2008" auf 24,4 Milliarden Euro jährlich. 8,4 Milliarden entfallen dabei auf ambulante und stationäre Behandlungen sowie Rehabilitationsmaßnahmen, 16 Milliarden betragen die indirekten Kosten, etwa durch Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung. "In jedem Unternehmen ab einer bestimmten Größe gibt es das Problem Alkohol", sagt Rüdiger Meierjürgen, der bei der Krankenkasse Barmer Programme für eine gesunde Lebensführung entwickelt.

Alkoholsucht geht quer durch alle Schichten. "Es betrifft Arbeiter wie Manager", sagt Meierjürgen. "Arbeitsbedingungen, die zu Stress führen, begünstigen Alkoholkonsum." Das kann den durch Überstunden belasteten Arzt betreffen, den Piloten oder den Lehrer. Besonders gefährdet sind Schichtarbeiter, alkoholnahe Berufsgruppen wie Wirte oder Angestellte in Brauereien und sogenannte Durstberufe in Küchen, Gießereien oder auf dem Bau. Männer greifen bis heute erheblich öfter zur Flasche als Frauen. Anteilig beträgt ihr Verhältnis unter den Alkoholsüchtigen etwa 70 zu 30. Frauen flüchten häufiger in die Medikamentenabhängigkeit. "Sie sind durch die Mehrfachbelastung in Beruf und Familie erhöhtem Druck ausgesetzt."

Um das Problem Alkohol in den Griff zu bekommen, muss das Führungspersonal ran. Denn es ist Aufgabe des Chefs, das Thema aktiv aufzugreifen. Wenn die Fehlerquote steigt, die Arbeit nur noch nachlässig erledigt wird und Termine platzen, sollte der Vorgesetzte das Gespräch suchen und Auffälligkeiten ansprechen. Dabei lässt sich klären: Steckt hinter dem Problem übertriebener Alkoholkonsum? Oder sind doch eher Stress und familiäre Sorgen der Grund? Doch diese Herangehensweise ist selten. "Bis heute fehlt die Wahrnehmung für Alkoholmissbrauch. Stattdessen verdrängen die Menschen das Problem, schieben es aus falscher Kollegialität beiseite."

Hilflose Kollegen

Eine Beobachtung, die auch Susanne Bürger gemacht hat: "Erst als meine Kollegin eines Nachmittags weinend am Tisch saß und nach Hilfe schluchzte, griffen Führungskräfte und Personalabteilung ein." Zu diesem Zeitpunkt war ihre Alkoholfahne schon seit Jahren durch das Büro geweht. Eine ambulante Therapie half schließlich vorübergehend aus der Sucht heraus. Zuvor hatten mehrere Vorgesetzte beide Augen zugedrückt. Dabei hatte der Arbeitgeber, ein großer Konzern, alle Voraussetzungen, um weitsichtig zu handeln: eine professionell organisierte Personalabteilung und Strukturen für Beratungen in punkto gesunde Lebensführung. "Das Problem ist, dass weder Betriebsarzt noch Personalabteilung in Eigeninitiative handeln dürfen. Wenn niemand auf sie zukommt, bleiben ihnen die Hände gebunden", sagt Bürger.

Noch hilfloser sind Familienbetriebe und Mittelstandsfirmen in dieser Situation. "Das ganze Thema des menschlichen Umgangs steht und fällt hier oftmals mit einer einzigen verantwortlichen Person", sagt Albrecht Aupperle vom Institut für Gesundheit und Schulung Iprevent. Sein Institut, eine Tochter der Suchthilfeeinrichtung Blaues Kreuz, bietet Firmen und deren Mitarbeitern psychologische Beratung an. Allerdings muss er oft erst eine Mauer der Scheu überwinden. "Es gibt Ängste, dass ein Außenstehender Firmeninterna erfährt. Auch die Sorge vor negativer Publicity ist groß, wenn bekannt werden sollte, dass es Probleme mit Alkohol gibt."

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Sicherheit als größtes Anliegen

Dass das Thema Suchthilfe schwer zu vermitteln ist, erfährt er immer wieder. Stattdessen gewähren die Firmen ihm zaghaft Zutritt, indem sie sich von Beratungsprogrammen gegen Burn-out, Schulden oder Konflikten im Team überzeugen lassen. Erst über diesem Umweg kommt Aupperle an das Thema Sucht im Betrieb heran. Dabei sieht er die Unternehmen selbst durchaus in der Verantwortung, wenn es den Mitarbeitern schlechtgeht: Die Belastung nehme zu, und immer öfter seien Arbeitsverträge nur befristet. "Sicherheit ist das größte Anliegen der Menschen. Wenn dieses Grundbedürfnis nicht erfüllt wird, entwickeln gerade sehr harmoniebedürftige Charaktere psychosomatische Erkrankungen und Süchte." Ob er daran glaubt, dass jemals eine suchtfreie Arbeitswelt existieren wird? "Nein. Unsere ganze Gesellschaft hat süchtige Strukturen, weil sie immer mehr, immer schneller und größer sein will. Und Alkohol als unsere Kulturdroge ist das soziale Schmiermittel."

Auch bei der Auftragsvergabe zum Beispiel. Wer mit dem Geschäftspartner nicht anstoßen möchte, zieht bei einem Deal schnell den Kürzeren. Insbesondere bei internationalen Geschäften mit Osteuropäern oder Asiaten sei der gemeinsame Umtrunk unvermeidbar, sagt Barmer-Berater Meierjürgen. Davon abgesehen, hat das gemeinsame Trinken am Arbeitsplatz im Vergleich zu früher aber abgenommen. Arbeitsverdichtung und Effizienzparolen machen es schlicht unmöglich. Geburtstage feiert man mit Kaffee und Kuchen statt mit Sekt am Mittag. Betriebsfeiern enden zeitig.

Abstinenz on the job

Die Folge ist allerdings nicht, dass der Alkoholkonsum am Arbeitsplatz abgenommen hat. Vielmehr hat sich aus einem mehr oder weniger offenen Konsum ein verdeckter Konsum entwickelt. Immerhin sieht Sozialtherapeut Aupperle Fortschritte bei der Therapie von Alkoholkranken am Arbeitsplatz. "Galt früher noch das Bild des Einzelnen, der unter dem Problem leidet, bezieht man bei modernen, ambulanten Therapien das Umfeld mit ein und belässt den Suchtkranken an seinem Arbeitsplatz." So bleibt er beruflich am Ball und trainiert Abstinenz on the job.

Der Kollegin von Susanne Bürger hilft dieser Ansatz nicht mehr. Sie hat sich vor kurzem in den Vorruhestand verabschiedet. Zuvor war sie rückfällig geworden. Ob sie nun in einem Umfeld der Fürsorge und psychologischer Unterstützung lebt, wissen die Ex-Kollegen nicht.

© SZ vom 20.9.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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