Die Patchworker:Jobhopping als Prinzip

Lesezeit: 3 min

Vom Schlosser zum Amtmann, Taxifahrer, Doppeldiplomwirt und Ghostwriter.

Von Christine Demmer

Der zweite Bildungsweg ist für Menschen erfunden worden, die in ihrem Berufsleben unentwegt auf Zickzack-Kurs kreuzen. Verlorene Jahre gibt es für sie nicht. Alles hatte seinen Sinn, auch wenn er sich manchmal erst Jahre später erschließen sollte. So ging es auch Thomas Helm. Mit 17 Jahren verließ der Hamburger das Gymnasium mit kleinem Latinum und Hauptschulabschluss, um, wie er sagt, "endlich das richtige Leben als Werktätiger zu erleben".

Thomas Helm (Foto: Foto: SZ)

Das fand er auch: als Maschinenschlosser-Azubi auf einer Hamburger Werft, als Nachtwächter und Hüttenwerker in einem Aluminiumwerk. "Diese zwei Jahre harter, körperlicher Arbeit desillusionierten mich stark, was die Romantik der Arbeitswelt angeht", sagt Helm. Also ging er mit 19 Jahren - hoffnungslos unterfordert - zur Handelsschule, die er mit einer Sondergenehmigung in der Hälfte der vorgesehenen Zeit absolvierte.

Einmal glücklich auf der Bildungsschiene, machte er gleich an der Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung weiter und reifte auf FH-Niveau heran. "Von den Großeltern wurde mir der Eintritt in die gehobene Beamtenlaufbahn nahe gelegt", sagt der eingefleischte Donald-Duck-Anhänger. Auch bei dem ist - wenn auch unfreiwillig - das Job-hopping zum Lebensprinzip geworden. 1980 trat Thomas Helm als Finanzanwärter in die Hamburger Steuerverwaltung ein. Den Grundkurs und die Zwischenprüfung meisterte er zur allgemeinen Zufriedenheit. Den Rest seines Lebens über Steuerformularen zu verbringen, erschien ihm freilich zu triste.

Möglichkeit zum Neuanfang

Er quittierte den Dienst und studierte Betriebswirtschaft an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik. "Eine harte, aber schöne Zeit, in der ich neben Zahlenkünsten auch viel Interdisziplinäres wie Soziologie, Jura, Volkswirtschaft sowie das Skatspiel erlernte." Das Diplom im Durchmarsch von drei Jahren in der Tasche, legte sich Helm 1984 in die nächste Kurve: als Trainee bei Daimler-Benz. Er hatte, inzwischen verheiratet und angehender Vater, beschlossen, ein gut situierter Autoverkäufer zu werden. Dazu hätte er allerdings aus Hamburg fortziehen müssen. "Leider wünschte meine Angetraute keine Ortsveränderung, wohl aber die Anwesenheit des Vaters und möglichst regelmäßige Arbeitszeiten."

In dieser Lage bot sich die Gelegenheit für gelernte Betriebswirte, bei der Post eine verkürzte Ausbildung für den gehobenen Post- und Fernmeldedienst zu absolvieren - mit der Aussicht auf eine Anstellung auf Lebenszeit und allen Annehmlichkeiten, die das Beamtenleben zu bieten hat. Also sattelte der Betriebswirt binnen 14 Monate den Diplom-Verwaltungswirt obendrauf. Er wurde Amtmann bei der Postbank und sah den Ruhestand schon zum Greifen nahe.

Mitte der neunziger Jahre zerbrach die Ehe. Es entwickelte sich ein mehrjähriger Krieg um den Ehegattenunterhalt und das Sorgerecht für die beiden Kinder. "Das führte zu erheblichen Verbindlichkeiten, für deren Tilgung ein bescheidenes Beamtengehalt kaum auszureichen schien." Es musste etwas passieren. Erneut sprang Helm ins kalte Wasser. "Da die Postbank ihre Beamten samt und sonders los werden wollte, bot sich unter Mitnahme einer Abfindung die Möglichkeit zu einem Neuanfang."

"Dann mache ich eben was anderes"

In den nächsten drei Jahren erleben wir Thomas Helm als selbstständigen Versicherungsvertreter, Unterhaltszahler und alleinerziehenden Vater, der immer wieder knapp an der Pleite vorbeischrammt. Neue Eheschließung mit der nunmehr besten Ehefrau der Welt, Gewerbe abgemeldet, Taxischein erworben. Und: Der Doppeldiplomwirt wird als talentierter Schreiber entdeckt. Fortan sitzt er nächtens hinter dem Steuer und tagsüber am PC - als freier Autor und Ghostwriter. Das geht nach ein paar Monaten auf die Knochen, und viel Geld kommt dabei auch nicht heraus. Also ab in die nächste Biegung. Mit 42 Jahren bewirbt sich Helm bei einem Callcenter, bekommt den Job und schwärmt nun Leuten, die das gar nicht wissen wollen, von den Vorzügen eines Telefonbucheintrags vor. Zwei Jahre hält er durch.

Im aktuellen Bild sehen wir Thomas Helm als Berzirksabgeordneten und - zumindest halbtags - als wissenschaftlichen Mitarbeiter eines Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft. Nebenbei arbeitet er weiterhin als freier Dozent und Trainer. Nein, nicht zum Thema "Überlebenkunst", sondern unter anderem für künftige Nichtraucher. Offenbar hat er eine Marktlücke entdeckt. "Nichtraucher-Kurse sind sowohl für Einzelpersonen als auch für Unternehmen interessant, die sich rauchfreie Büros und gesunde Mitarbeiter wünschen", sagt Helm in der Hoffnung auf eine zahlungswillige Klientel. Und wenn die wider Erwarten nicht kommt? "Dann mache ich eben was anderes."

Nächste Woche: Sabine Endres war erst Friseurin und arbeitet jetzt als Künstlerin

© SZ vom 20.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: