Die Patchworker:Die Gestaltung des Klassenraums

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Wenn eine erfolgreiche Architektin Lehrerin wird, prallen zwei Welten aufeinander.

Von Christine Demmer

Lehrerin wollte Dorette Christfreund niemals werden. Die Schule erschien ihr als Ort, der wenig Platz bietet für Kreativität, der Lehrer und Schüler einzwängt zwischen Lehrplänen, Stundentafeln und Hausordnungen. Und es waren doch gerade die Freiräume, die sie faszinierten. "Zehn Jahre lang habe ich begeistert Raum gedacht und gedachten Raum umgesetzt", sagt die Architektin. "Ich war zwar angestellt, hatte aber die gestalterische Freiheit einer Selbstständigen."

Dauerstau und Dauerstress

Nach dem Diplom an der Fachhochschule Aachen und einem Zweitstudium an der Kunstakademie Düsseldorf entwarf Dorette Christfreund Pflegeheime, Kliniken und Lehrgebäude, sie verhandelte mit Handwerkern und Bauherren, gewann Preise und Wettbewerbe. Architektur beflügelte sie, war ihr ganzes Leben. Dann kam Paula, heute acht Jahre alt, und sie stellte ihre Liebe zur Raumplanung und Gestaltung für ein halbes Jahr lang hinten an. Dann ging es zurück in den Beruf, und der Ehemann übernahm den Großteil der Familienarbeit.

Tag für Tag fuhr sie vom Wohnort Aachen ins Büro nach Düsseldorf - das bedeutete Dauerstau und Dauerstress und ständig die Sorge, sie könne womöglich die eine Welt auf Kosten der anderen vernachlässigen. Als sich wenige Jahre später Sohn Eric anmeldete, verlegte sich die Architektin auf Heimarbeit: Tagsüber wurde gefüttert, gewindelt und gespielt, abends geplant und gezeichnet. Doch schon bald hieß es wieder: pendeln zwischen Aachen und Düsseldorf.

Einen Spagat kann selbst der beweglichste Artist nicht auf Dauer aushalten. Zwei Kinder wollten versorgt werden, der Ehemann war inzwischen mit vollem Einsatz zurück in seinem Beruf, und Dorette Christfreund schaute sich in Aachen nach einer neuen Stelle um. In der Universitätsstadt mit Architekten-Überschuss hatte sie allerdings keine Chance: Das angebotene Gehalt bewegte sich auf Studenten-Niveau, interessierte Büros erwarteten selbstverständlich eine Fünfzig-Stunden-Woche. "Zum ersten Mal dachte ich ernsthaft daran, die Architektur für die Kinder aufzugeben", sagt sie.

Kreuz und quer denken

Aber was kam sonst in Frage? Das Hobby Malerei zum Beruf machen? Unplanbar, unkalkulierbar. Abhängig sein vom Ehemann, abhängig von glücklichen Fügungen. Und abhängig wollte sie nicht sein. Es reichte, dass zwei Kinder von ihr abhängig waren. Also Kopf frei, kreuz und quer denken, nach einer anderen Art von befriedigender Arbeit suchen, im Internet recherchieren, mit Leuten sprechen, herumtelefonieren. Dorette Christfreund war 44 Jahre alt und gestaltete Raum - ihren eigenen Raum. Irgendwann hörte sie von der Möglichkeit des Quereinstiegs ins Lehramt.

Praktisch bewanderte Berufsschullehrer sind auch heute noch in manchen Fächern Mangelware, nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Dem Anruf bei der Aachener Fachoberschule für Gestaltung folgte die schriftliche Bewerbung und ein halbes Jahr Warten, bis eine Planstelle frei wurde. Gesucht wurde ein Lehrer für die Fächer Gestaltung, Kunstgeschichte und Freihandzeichnen. Die Architektin zögerte nicht - trotz der zwiespältigen Reaktionen ihres Umfelds. Viele Freunde und Bekannte waren entsetzt. "Der Lehrerberuf hat scheinbar einen total miserablen Ruf", sagt Christfreund.

Ohne die geringste Vorbildung, wie sie 17- und 18-jährigen Fachoberschülern pädagogisch und fachlich Wertvolles auf den Berufsweg geben sollte, legte die Architektin am 7. Januar 2002 um acht Uhr im Dienstzimmer des Schulleiters ihren Amtseid ab. Einen Tag später stand sie im Klassenzimmer und war Lehrerin - ohne Hospitanz, ohne Einführung, ohne die in anderen Berufen übliche Einarbeitungszeit. Ihr Akademie-Abschluss wurde als erstes Staatsexamen im Fachstudium anerkannt, das zweite Staatsexamen erhielt sie nach einem Jahr berufsbegleitendem Pädagogikstudium, einer Staatsarbeit und einer mündlichen Prüfung. Für die Familie bedeutete die Prüfungsphase eine erneute Belastungsprobe, die den Jahresurlaub kostete.

Zu ihrem eigenen Erstaunen fand die 46-Jährige auch an ihrem neuen Arbeitsplatz genug kreativen Austausch. "Ich genieße eine gigantische gestalterische Freiheit und finde die Nähe zu den Jugendlichen sehr bereichernd. Nur manchmal wundere ich mich ein bisschen, dass viele Kollegen diese Freiheit ebenso wenig zu schätzen wissen wie ihre herausragende wirtschaftliche und soziale Situation", sagt Dorette Christfreund.

Nach zwei Jahren im Schuldienst ist sie davon überzeugt, dass die Anforderungen in Schule und Wirtschaft so unterschiedlich sind wie zwei Sprachen. "Die Kommunikation zwischen beiden Arbeitswelten ist ohne die Kenntnis der jeweils anderen Sprache sehr schwer", sagt sie. "Darum ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur den Pädagogen ein schlechtes Image zu schaffen macht, sondern einige auf die Konfrontation mit Kollegen aus der freien Wirtschaft erst mal mit Befremden reagieren."

Jungen Menschen würde Dorette Christfreund raten, gründlich zu erforschen, wo die eigenen Interessen liegen und wie sie sich vertiefen lassen. "Begeisterung ist die einzige Grundlage, trotz der ständig schmaler werdenden Chancen auf einen Arbeitsplatz, einen Weg in den Beruf zu finden." Mit ihrem radikalen Berufswechsel ist sie immer noch sehr zufrieden. "Ich würde nichts daran ändern. Meine fachliche Begeisterung erhielt immer genug Raum, auch jetzt." Nun ja, Raumgestaltung war ja schon immer ihr Ding.

© SZ vom 31.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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