Die neuen Gastarbeiter:Ein Traum mit Plopp-Faktor

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In Kanada haben Ausländer nur als Technik-Spezialisten eine Chance.

Christine Demmer

(SZ vom 7.6.2003) Zu vorgerückter Stunde, im Kreise guter Freunde oder auch nur einiger geleerter Gläser, beginnen die Menschen zu träumen. Ob aus konkretem Anlass - die aktuellen Arbeitslosenzahlen - oder aus überbordendem Freiheitsdrang heraus, egal, nur weg hier, alles hinter sich lassen und noch mal ganz von vorne anfangen. Und dann spricht es einer aus: "Habt Ihr eigentlich schon mal daran gedacht, auszuwandern?"

Blick auf Vancouver - Die Stadt gilt als eine der lebenswertesten Städte der Welt. (Foto: dpa)

Kanada gehört, ebenso wie Neuseeland und Australien, zu den Favoriten ausstiegswilliger Deutscher. Mehr als eine Million der rund 30 Millionen Kanadier sind deutscher Abstammung, und jedes Jahr kommen 2000 neue Bundesbürger ins Land.

Monatelanger Papierkrieg

Die Einwanderungsbestimmungen sind hart. Nur wer einen gesuchten Beruf ausübt, kann auf die Permanent Resident Card hoffen, etwa Software-Experten, Ingenieure und Ärzte. Das gleiche gilt für Gastarbeiter. Die Faustregel lautet: Je höher qualifiziert, je techniknäher der Beruf und je begehrter das Fachwissen, desto größer ist die Chance auf einen Job in Kanada. Dann braucht man nur noch einen anstellungswilligen Arbeitgeber, der die Arbeitserlaubnis (für maximal zwei Jahre) besorgt, packt seine Koffer - und ab geht der Flieger.

Plopp. An dieser Stelle platzt für die meisten der schöne Traum. Denn wer nicht gerade bei einem Konzern arbeitet, der in Kanada eine Tochtergesellschaft oder einen guten Geschäftspartner besitzt, hat schlechte Karten.

Der Arbeitgeber in spe muss nämlich gegenüber den Behörden nachweisen, dass er in Kanada selbst keinen passenden Mitarbeiter bekommt, mehr noch, dass er geradezu zwingend angewiesen ist auf den Neuen aus Good Old Germany. Das kann Monate lang dauern, bedeutet Papierkrieg für den kanadischen Betrieb und ist daher oft der entscheidende Plopp-Faktor.

Monika Kentzler hat sich ihren Arbeitgeber in Deutschland mit Bedacht ausgesucht. Die 32-jährige Maschinenbau-Ingenieurin arbeitet seit vier Jahren für einen Konzern in Stuttgart und wurde vor einem Jahr zu einem Lieferanten nach Vancouver entsandt. "Ich hatte schon immer im Hinterkopf, noch mal ins Ausland zu gehen, nachdem ich meinen High-School-Abschluss und meinen Master of Science in den USA gemacht hatte", sagt sie. Das Studium hatte sie damals nach Deutschland zurückgebracht. "Als mich mein Vorgesetzter fragte, ob ich für sechs bis acht Monate nach Kanada zu unserem Projektpartner gehen wolle, da habe ich sofort zugesagt."

Inzwischen ist ihr Aufenthalt in der Stadt unmittelbar am Pazifik auf 13 Monate verlängert worden; danach kehrt Kentzler nach Deutschland zurück. "Meine Aufgaben werden aber zum Teil neu definiert werden, da das Projekt ein Jahr weiter sein und sich der Fokus geändert haben wird." A

ls Projektmanagerin kümmert sie sich um die Terminplanung und um Themen, bei denen es aufgrund der Sprachbarriere und der unterschiedlichen Denkansätze zu Missverständnissen zwischen Kunden und Lieferant kommen kann. In Deutschland arbeitet sie bei einem Endprodukt-Hersteller mit jahrzehntelanger Erfahrung, während es sich bei dem Lieferanten in Kanada um eine Firma handelt, die gerade den Schritt von der Forschung und Entwicklung in die Serie macht.

Heimflug auf Firmenkosten

"Die Erfahrungen und vor allem die bestehenden, gut funktionierenden Prozesse meiner deutschen Firma müssen beim Lieferanten so ähnlich eingeführt werden." Ihre gewohnte Arbeitsweise musste sie dafür allerdings umstellen: "Während die Deutschen sehr viel Wert auf Pünktlichkeit und Akkuratheit legen, sind die Kanadier mehr laid back, also lässiger. Das macht sich auch im Arbeitsstil bemerkbar."

In Kentzlers kanadischer Firma arbeiten noch einige andere deutsche Kollegen, zum Teil Immigranten, zum Teil Ex-Patriates wie sie. Die Kollegen kennen sich und sehen sich hin und wieder. "Noch vor zwei Jahren waren hier wesentlich mehr Expats", bedauert Kentzler, "damals gab es ein Netzwerk und regelmäßige Stammtische".

Think positive: Dafür ließe die Arbeit der Ingenieurin heute kaum noch Zeit. Aber immerhin hat sie 25 Tage Jahresurlaub - doppelt so viel wie kanadische Arbeitnehmer zu Beginn der beruflichen Laufbahn - und darf vier Mal im Jahr auf Firmenkosten nach Hause fliegen.

Anders träumen

Als Single hat sie schnell eine Wohnung in der Innenstadt von Vancouver gefunden. "Das Angebot ist gut, aber relativ teuer." Doch wer mit der ganzen Familie ankommt und ein eigenes Haus braucht, müsse lange suchen. Viele in der Millionenstadt beschäftigte Menschen wohnen am Fuße der etwa eine Autostunde entfernten Berge und nehmen jeden Tag lange Fahrten auf sich.

Allerdings sind Firmenwagen ebenso wie Fahrtkostenerstattung, Umzugsbeihilfe, Zuschüsse zur Alterversorgung, Weihnachts- und Urlaubsgeld, Gratifikationen und andere Annehmlichkeiten in Kanada den Top-Verdienern vorbehalten.

Auch die Durchschnittseinkommen liegen deutlich niedriger als in Deutschland, und die Arbeitslosigkeit wächst. Deshalb träumt so mancher Kanadier mit deutschen Wurzeln zu vorgerückter Stunde ...

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