Deutschlands Reformen:Nicht gut, nicht schlecht

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Der Run auf die Minijobs hält an - die Kritik, dadurch gingen massenhaft reguläre Arbeitsplätze verloren, lässt sich aber kaum belegen.

Von Jonas Viering

Lieber würde er Vollzeit arbeiten. "Wie ein normaler Mensch eben", sagt Wolfgang Kramm ein wenig bitter: "Aber mit 58 Jahren nimmt mich keiner mehr." Deshalb macht der Altenpfleger einen Minijob beim ArbeiterSamariter-Bund in Bad Ems.

Man kann sich auch über 100 Euro freuen. Doch machen die Mini-Jobs nicht Vollzeitarbeitsplätze kaputt? (Foto: Foto: AP)

"Wirklich froh" ist er, sagt er, dass er sich so zur Arbeitslosenhilfe wenigstens etwas dazu verdienen kann. Gudrun Langbecker sitzt zweimal die Woche fünf Stunden bei Woolworth an der Kasse. Mehr möchte sie gar nicht arbeiten, "schon wegen der Gesundheit".

Mit dem 400-Euro-Job bessert sie sich die Rente ihres verstorbenen Mannes auf, nachdem sie sich jahrzehntelang nur um ihn und die Kinder gekümmert hat. Jetzt sorgt sie sich richtig, die Minijobs könnten abgeschafft werden: "Ich versteh' nicht, warum da schon wieder schlecht drüber geredet wird."

Das Bild ist nicht schwarz-weiß

Tatsächlich werden die Minijobs derzeit in die Zange genommen - erstmals sind detaillierte Daten verfügbar. "Jobkiller" nennt der Wirtschafts-Weise Peter Bofinger diesen Teil der HartzReformen; er ist ein eher linker Ökonom.

Reguläre Arbeitsverhältnisse würden durch Minijobs vernichtet, so empören sich auch die Gewerkschaften. Bofinger spricht sogar von zwei Millionen "echter" Jobs, die den acht Millionen Minijobs entsprächen. Aber sogar wirtschaftsliberale Wissenschaftler halten wenig von der neuen geringfügigen Beschäftigung.

So zeigten sich kürzlich das Münchner Ifo-Institut und das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft sehr skeptisch. Fast nur noch die Regierung, die schlecht anders kann, und der Arbeitgeberverband stehen weiter zu der Reform. "Minijobs sollten nicht mies gemacht werden", erklärte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt fast trotzig.

Enorme Nachfrage

Rot-Grün hatte die Mini-Jobs im April 2003 nicht völlig neu geschaffen, sondern nur ausgeweitet. Die Verdienstgrenze wurde von 325 auf 400 Euro gehoben, ganz neu kamen die Midi-Jobs für Verdienste zwischen 401 und 800 Euro hinzu. Vor 1999 hatten schon einmal großzügigere Regeln existiert, die Rot-Grün einschränkte - um sie vier Jahre später sogar noch auszuweiten.

Die Nachfrage ist enorm: Vor der Reform gab es etwas weniger als vier Millionen geringfügige Jobs, ein Jahr später 28 Prozent mehr, heute spricht man je nach Zählweise von 6,5 bis acht Millionen Minijobbern.

Das Besondere bei diesen Stellen ist, dass sie für die Beschäftigten frei von Sozialversicherungsbeiträgen sind; die Arbeitgeber zahlen eine Pauschale von 25 Prozent. Allerdings erwerben die Beschäftigten so auch keine Ansprüche auf Zahlungen etwa bei Krankheit.

Im Zentrum des Streits um die Minijobs steht die Frage, ob für sie Vollzeitstellen umgewandelt, aufgesplittet werden. Auf den ersten Blick sieht es so aus: Die Zahl der Minijobs nimmt zu, die der sozialversicherungspflichtigen Stellen ab.

Allerdings begann dieser Abwärtstrend deutlich vor der Minijob-Reform. Die Arbeitsagentur erklärt, dass es mehr Minijobs vor allem in denjenigen Betrieben gibt, in denen auch die Zahl der Vollzeitstellen wuchs. Hier wurde ganz offensichtlich nichts umgewandelt.

Nullsummenspiel

Ein weiterer Hinweis: Ingesamt fielen in der Industrie mehr Vollzeitstellen weg als in der Dienstleistungsbranche - in der nahmen aber die Minijobs viel stärker zu. Eine Aufschlüsselung des DGB zeigt, dass etwa im Handel ein Minus von 110.000 Vollzeitstellen mit einem Plus von 86.000 Minijobs kontrastiert, bei Dienstleistungen wie Werbung und Reinigung aber ein doppeltes Plus entstand. Das Bild ist nicht schwarz-weiß.

Schlimm, so klagt Verdi, sei es zum Beispiel bei Woolworth. Dort kann man die Aufregung nicht verstehen. Seit 1970 schon wandle die Supermarktkette Vollzeitstellen um, die damals 98 Prozent der Belegschaft ausmachten, erklärt Firmensprecher Wilfried Sauer. Heute kommen auf 1700 Vollzeitkräfte 4400 Teilzeitler und 8100 Minijobber.

"Dabei geht es nicht um Kosten, die Sozialabgaben sind für uns da nicht geringer", erklärt Sauer: "Entscheidend ist die Flexibilität."

Wenn morgens die Lieferung kommt oder abends der Laden aufgeräumt werden muss, kann Woolworth seine nur stundenweise beschäftigten Kräfte ganz gezielt einsetzen: ein Strukturwandel. Die Gewerkschaften argumentieren, weil zumindest die Hälfte der Sozialbeiträge entfalle, nämlich auf der Arbeitnehmerseite, könnten Unternehmen niedrigere Löhne zahlen: Minijobber seien doch Billigjobber.

Ein Grundsatzproblem

Bei Woolworth aber, so Sauer, ist der Stundenlohn für alle gleich, die ähnliche Aufgaben haben. Ein Minjobber ist da nicht kostengünstiger als die Teilzeitkraft.

Es gibt also mit Sicherheit Umwandlungen regulärer Jobs, doch derzeit weder schlagartig noch massenhaft. "Weitere Forschung" müsse dies klären, heißt es vorsichtig bei der Bundesagentur für Arbeit. Dramatischer ist wohl der Einnahmeausfall bei den Sozialversicherungen, vor dem auch die Wirtschafts-Weisen jüngst warnten. Jeder zur Hälfte versicherungsfreie Job macht sich hier übel bemerkbar - ein Grundsatzproblem.

Das große Ziel, mit den Minijobs Stellensuchenden eine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt zu bauen, hat die Bundesregierung nicht erreicht. Darauf weisen auch Forscher des RWI mit Nachdruck hin: "Insgesamt ist der Anteil an arbeitslosen Arbeitnehmern in Minijobs eher gering." Hinzu kommt: Zwar wechselten in einem Jahr 441.000 Minijobber in reguläre Stellen, aber 437.000 Beschäftigte gingen den umgekehrten Weg: ein bloßes Nullsummenspiel.

Billiger schlägt billig

Immerhin, bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit scheinen die Minijobs zu nutzen. Erstmals seit dreißig Jahren geht in Deutschland die Schwarzarbeit zurück, ermittelte der Linzer Professor Friedrich Schneider.

Grund seien die Minijobs. Ursprünglich zielte die Reform vor allem auf illegale Putzfrauen in Privathaushalten, tatsächlich gab es einen Ansturm auf die unbürokratische Anmeldung bei der Minijob-Zentrale. Aber Verdi-Chef Frank Bsirske wies jüngst zu Recht darauf hin, dass immer noch den 90000 gemeldeten Stellen geschätzte 3,4 Millionen Haushalte gegenüberstünden, die eine Hilfe beschäftigen.

So wie manch reguläre Jobs möglicherweise von Minijobs verdrängt werden, so kann es letzteren in einigen Branchen mit den neuen Ein-Euro-Jobs gehen: Billiger schlägt billig, so die Sorge. Wolfgang Kramm hat Angst, dass die nächste Reform ihn seinen Minijob beim Samariterbund kostet.

"Da war jemand vom Arbeitsamt da und hat Ein-Euro-Kräfte angeboten", berichtet er. Sein Arbeitgeber jedoch blieb vorerst standhaft. "Unternehmerisch gesehen wäre ein Euro Stundenlohn natürlich toll", erklärt die Dienststellenleiterin. "Aber bei uns geht es um Menschen" - um die betreuten Behinderten, und um die Betreuer.

Einbußen drohen Kramm dennoch. 2005 rutscht er ins neue Arbeitslosengeld II. Und dann darf er nur noch einen Bruchteil seines Zuverdienstes behalten.

© SZ vom 17.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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