Deutschlands Lehrer:Zu alt, zu unbeweglich, zu wenig originell

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Nirgendwo in Europa sind die Lehrer so alt wie in Deutschland. Dadurch fehlt der frische Wind in den Schulen. Ausländische Experten raten, die Lehrer nicht mehr zu verbeamten und ihre Leistung regelmäßig zu bewerten. Die Kultusminister wehren sich dagegen.

Von Jeanne Rubner

Der Pisa-Schock sitzt den Kultusministern noch in den Knochen. Seit im Dezember 2001 die miserablen Noten für Deutschlands Schulen bekannt wurden, steht das gesamte Schulsystem auf dem Prüfstand. Deshalb reagieren die Bildungspolitiker empfindlich auf Kritik oder aber ignorieren sie - wie etwa das kritische Urteil ausländischer Experten über die heimischen Lehrer: Sie sind überaltert, pädagogisch schlecht ausgebildet, und es gibt zu wenig Anreize für einen packenden Unterricht.

Ein Lehrer demonstriert in Berlin. Zu Recht, wie der Bericht der OECD zeigt. (Foto: Foto: dpa)

Erstellt haben dieses Gutachten fünf Fachleute. Im Auftrag der OECD besuchten sie im September 2003 Schulen in den vier Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) mit Sitz in Paris hatte dereinst auch die Pisa-Studie koordiniert. Bereits Ende vergangenen Jahres waren einige vorläufige Ergebnisse der Lehrerstudie durchgesickert.

Neues aus Pisa: Auch die Lehrer versagen

Seit März nun kennt die Kultusministerkonferenz (KMK) die Untersuchung, hat sich aber bislang nicht dazu geäußert, obwohl die OECD genau dies erwartet.

Offiziell wird das lange Schweigen damit begründet, dass die Studie "nichts Neues im Bezug auf die bisherige Diskussion" enthalte, sagt KMK-Generalsekretär Erich Thies. Ewald Terhart, Fachmann für Lehrerbildung an der Universität Münster, wertet den Bericht dagegen als eine "sehr gute und tiefgehende Analyse".

Die Ergebnisse sollen in eine internationale Studie über insgesamt 25 Länder einfließen, die im Herbst veröffentlicht und Grundlage für ein "Pisa für Lehrer" sein wird. In ihrer Untersuchung legen die Gutachter den Finger in mehrere Wunden des deutschen Schulsystems. Nirgendwo in Europa sind die Lehrer so alt wie in Deutschland - jetzt rächt sich, dass die Länder immer nur nach dem momentanen Bedarf eingestellt haben. Dadurch aber fehle, so der Bericht, der "frische Wind", den junge Pädagogen in eine Schule bringen. Zudem könne es bald an Lehrern mangeln, schon heute fehlen sie an vielen Hauptschulen.

Kaum Anreize für Lehrer

Die Ausbildung empfinden die OECD-Fachleute als so unübersichtlich wie das Schulsystem. Jedes der 16 Bundesländer hat sein eigenes Ausbildungsmodell. Das hemmt die Mobilität: Nur neun Prozent der Lehrer verlassen innerhalb eines Schuljahres ihren Posten - ein Drittel davon geht zu einer anderen Schule im selben Bundesland. Doch gerade einmal zwei Prozent der Wechsler nehmen eine Stelle in einem anderen Bundesland an, eine "alarmierend niedrige Zahl" urteilen die Fachleute.

Lehrer lernen zwar lange und sind fachlich gut ausgebildet. Für Didaktik und Pädagogik aber wollen ihnen die Experten keine guten Noten ausstellen. Und wenn sie sich eine Stelle gesichert haben, können Lehrer sich im Prinzip zurücklehnen. "Anfänger sind im Schnitt 32 Jahre alt und hochgradig geprüft", sagt auch Terhart, "und danach kommt nichts mehr."

Weiterbildung gehört nicht zu den Pflichtaufgaben der Pädagogen. Das sei wenig überraschend, heißt es im Bericht, denn deutsche Lehrer würden praktisch nur nach Berufsjahren befördert und hätten kaum Anreize, ihre Fähigkeiten in Frage zu stellen sowie Lehrtechniken zu verbessern.

Das OECD-Team führt dies auch auf den Beamtenstatus und die damit verbundene Jobsicherheit sowie fehlende Begutachtung zurück - und lässt keinen Zweifel daran, dass es das deutsche System als anachronistisch empfindet: Die Zeiten, in denen man Lehrkräften allein wegen ihres Amtes vertraute, seien längst vorbei.

Unzufrieden trotz hohem Einkommen

Weil das System aber so starr sei, könnten Schulen und Lehrer nicht auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen. Insgesamt beobachteten die Gutachter eine "Malaise unter Lehrern". Obwohl sie OECD-weit zu den am besten bezahlten Pädagogen gehören, sind deutsche Lehrer mit ihrem Job eher unzufrieden.

Den deutschen Kultusministern geben die Fachleute ein paar Ratschläge: Sie sollen Standards entwickeln, die beschreiben, was Lehrer können müssen. Lehrer müssen nicht verbeamtet sein. Die Ausbildung muss kürzer und praxisnäher werden, die Weiterbildung effektiver. Lehrer sollten von einem Team aus Kollegen, Schulleitern und externen Fachleuten regelmäßig begutachtet werden. Schlechte Pädagogen müssten die Schule verlassen oder Stellen annehmen, bei denen sie nicht unterrichten müssten.

Um in Zukunft genügend Lehrer zu finden, sollte man gute Pädagogen mit Sabbaticals und mehr Freizeit belohnen. Und: Schluss mit der staatlichen Bevormundung, Schulen und Kommunen müssten mehr Freiheiten erhalten und zum Beispiel Lehrer selbst einstellen können.

Die Lage ist schwierig - nicht aussichtslos

Das deutsche Schulwesen sei in einer schwierigen, aber nicht aussichtslosen Lage, schreiben die Gutachter zum Schluss. Reformen seien angepackt worden, allerdings nicht konsequent genug. Sie hätten zwar in zahlreichen Klassenzimmern sehr viele positive Ansätze gesehen. In der Gesamtstruktur aber habe sich nichts geändert - und das, obwohl niemand mehr auf dem regulierten System beharre. Einen kleinen Trost wollen die Experten den misstrauischen Kultusministern spenden: Manchmal habe es einen Vorteil, Spätzünder zu sein und von den Erfahrungen anderer zu profitieren.

© SZ vom 16.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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