Der etwas andere Unterricht:Wo auch Werken wichtig ist

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Reformpädagogische Schulen setzen andere Schwerpunkte, doch leistungsfeindlich sind sie damit nicht. Zu ihren Befürwortern zählt auch Altkanzler Helmut Kohl.

Als sich der erste Schock über die schlechten Noten bei der Pisa-Studie gelegt hatte, begannen Erziehungswissenschaftler, die Untersuchung genau auszuwerten - um dabei einige Überraschungen zutage zu fördern.

Zum Beispiel, dass entgegen der allgemeinen Erwartung Reformschulen beachtliche Ergebnisse erzielt hatten.

Mussten sich diese zuvor oft die skeptische Frage "Lernen die Kinder denn auch etwas?" anhören, so lieferte Pisa den Beweis dafür, dass alternative Pädagogik nicht zwangsläufig leistungsfeindlich ist. So fanden sich die Wiesbadener Helene-Lange-Gesamtschule und die Bielefelder "Laborschule", an der Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichtet werden, über dem deutschen Durchschnitt wieder.

Weder Klassenzimmer noch Noten

In Naturwissenschaften waren die Helene-Lange-Schüler sogar besser als diejenigen aus dem Testsieger-Land Korea, die Bielefelder konnten fast so gut lesen wie die Finnen. Dabei sind beide Schulen alles andere als klassische Paukschulen. In Bielefeld, einer Gründung des Pädagogik-Altmeisters Hartmut von Hentig, gibt es weder Klassenzimmer noch Noten.

Beide Schulen sind öffentliche - und damit eine Ausnahme. Denn die meisten reformpädagogischen Schulen werden von privaten Trägern unterhalten. Die Reformpädagogik hatte Anfang des 20.Jahrhunderts viele Anhänger gewonnen. Schüler sollten mit Freude lernen, die Schulen wieder kindgerecht werden.

Der Münchner Stadtschulrat Georg Kerschensteiner, die italienische Ärztin Maria Montessori, der deutsche Pädagoge Hermann Lietz und der Anthroposoph Rudolf Steiner zählten dabei zu den einflussreichsten Ideengebern.

Nach der Nazizeit, während der die meisten dieser Schulen schließen und ihre Leiter auswandern mussten, gründeten sich viele Einrichtungen neu. Besonders die Waldorfschulen, die kürzlich ihren 85. Geburtstag feierten, konnten sich im Nachkriegs-Deutschland etablieren. Geschätzt werden sie vor allem von aufgeklärten Akademiker-Eltern.

Waldorfschüler: Otto Schily, die Kinder von Helmut Kohl und Monika Hohlmeier

Bundesinnenminister Otto Schily war Waldorfler, Altkanzler Helmut Kohl wählte eine Waldorfschule für seine Kinder, ebenso Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier. Knapp 74000 Schüler besuchten im vergangenen Schuljahr eine Waldorfschule. Bis zur neunten Klasse haben sie gemeinsamen Unterricht, es gibt keine Noten und kein Sitzenbleiben.

Trotzdem schaffen die meisten Jugendlichen das staatliche Abitur. In Deutschland etabliert hat sich auch die Montessori-Bewegung, die inzwischen 250 Schulen zählt. "Hilf mir, es selbst zu tun" - der Leitspruch von Montessori - steht bei ihnen im Mittelpunkt. Freiarbeit ist deshalb eine zentrale Komponente des Unterrichts. Neben Waldorf und Montessori gibt es eine Vielfalt weiterer Konzepte.

Dazu zählen die von Lietz und seinen Schülern gegründeten Land-Erziehungsheime, die eher anti-autoritär angehauchten Freien Schulen nach dem Vorbild des englischen Summerhill sowie kirchlich getragene Schulen in Baden-Württemberg.

Den reformpädagogischen Schulen ist gemein, dass sie den Schülern mehr Aufmerksamkeit geben und auf ihre Bedürfnisse eingehen wollen. "Herz und Hand" sollen gestärkt werden - das heißt, Lehrer sehen sich auch als Erzieher, und das Kochen, Werken und Basteln spielen eine wichtige Rolle im Stundenplan.

© SZ vom 14.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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