Datenschutz:Das gläserne Klassenzimmer

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Die Kultusminister wollen die Daten aller Schüler zentral erfassen - und über jedes Kind eine Menge wissen. Kritiker erinnert das an die DDR.

Marco Finetti

Das Vorhaben kommt recht unverdächtig daher - doch was die Kultusministerkonferenz (KMK) auf ihrer Herbstsitzung Mitte Oktober in Berlin beraten will, lässt Datenschützer Kopf stehen, bringt Eltern- und Lehrervertreter in Rage und ist inzwischen auch in den eigenen Reihen umstritten.

In Amtsdeutsch gegossen, geht es um eine "Datengewinnungsstrategie für die nationale Bildungsberichterstattung". Dahinter aber verbirgt sich der Plan für eine der größten Datenansammlungsaktionen der jüngeren deutschen Geschichte.

Nach dem Willen der KMK soll künftig jeder der mehr als zwölf Millionen Schüler in Deutschland in einer Datenbank erfasst werden.

Die Kultusminister, die nach dem schlechten deutschen Abschneiden in den Pisa-Studien zu ungeahnter Tatkraft erwacht sind, verbinden damit hehre Absichten: Die Daten sollen das Bildungssystem transparenter machen, Bildungsverläufe sollen besser nachvollziehbar, Probleme wie der schwierige Wechsel vom Schulsystem eines Landes in ein anderes oder zwischen Schulformen besser erkennbar werden.

Mehr Qualität und Vergleichbarkeit in der Bildung, national und international - das ist das Ziel. Und dafür wollen die Minister über jeden Schüler jede Menge wissen.

Was direkt mit der Schulbildung zu tun hat, soll sowieso erfasst werden, etwa die besuchte Schulform, die belegten Wahlfächer oder ob jemand versetzt wurde oder nicht.

Darüber hinaus interessieren die KMK aber auch ganz andere Dinge: Wo ist der Schüler geboren? Woher stammen seine Eltern? Welche Sprache wird in der Familie gesprochen?

All dies und vieles mehr soll ebenfalls zunächst auf Landesebene gespeichert werden, später sogar bundesweit in einem Zentralregister.

Ursprünglich wollten die Kultusminister rasch mit der Datensammlung beginnen. Doch daraus wird wohl nichts, die Pläne stoßen auf immer größere Ablehnung.

Vor allem Datenschützer wissen gar nicht, wo sie mit ihrer Kritik beginnen sollen - so viele Punkte sind es.

"Den Einzelnen ausleuchten"

"Für die Datei gibt es überhaupt keine Rechtsgrundlage", sagt Christian Schnoor, Referatsleiter beim sächsischen Datenschutzbeauftragten: "Erst einmal müssten die Schulstatistikgesetze geändert werden."

Zudem, so fügt Schnoor süffisant hinzu, sei fraglich, "ob man zur Verbesserung der Bildungsqualität wissen muss, ob in Afghanistan geborene Schüler in Hamburg eher eine bestimmte Fremdsprache wählen als in München". Den Datenschützer beruhigt auch nicht, dass alle Daten anonymisiert werden sollen.

Dass jeder Schüler dafür eine "Identifikationsnummer" erhalten soll, mache die Sache rechtlich noch komplizierter.

Über diese und andere Bedenken wollen die Kultusminister nun erst einmal mit den Datenschutzbeauftragten beraten. "Entschieden ist noch gar nichts, wir bemühen uns derzeit um eine einvernehmliche Lösung", stellte die KMK-Präsidentin Ute Erdsiek-Rave (SPD) am Donnerstag denn auch fest.

Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin muss die Datenbank inzwischen auch in der KMK verteidigen. Zumindest ein Bundesland lehnt das Zentralregister rigoros ab: Sachsen. Seinen Kultusminister Steffen Flath (CDU) erinnert die Datei "in fataler Weise an die DDR, wo es dem Staat gelang, Unmengen von Daten zu sammeln und den Einzelnen auszuleuchten".

© SZ vom 29.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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