Coachings:Gurus für alle Lebenslagen

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Je größer der Stress, desto größer die Sehnsucht nach Lebenshilfe: Kostspielige Coachings sollen Karrieren auf den rechten Weg bringen. Zwischen "Lama-Wandern für Führungskräfte" und "Gefühlsbefreiung am Telefon" sind seriöse Angebote nur schwer zu finden.

Julia Bönisch

Den Teamgeist beim Tauchen entdecken, die Kommunikation beim Kochen fördern oder Gefühle befreien via E-Mail und Telefon: Wer nach einem Coaching sucht, muss sich durch ein Angebotsdickicht kämpfen, das seinesgleichen sucht. Tausende Gurus für alle Lebenslagen bieten Beratungswilligen ihre Künste an, die Suchmaschine Google liefert allein auf ihren deutschen Seiten 834.000 Treffer zum Thema.

Lamawandern für Führungskräfte: Der Markt lässt keine Wünsche offen, ein Coaching mit der Lieblingskreatur des Chefs findet sich bestimmt. (Foto: Foto: dpa)

Besonders beliebt sind offenbar Seminare, in denen Tiere ausgebrannten Manager und sich selbst suchenden Angestellten helfen sollen. Führen mit Pferden, Wolf Leadership oder Lama-Wandern für Führungskräfte - die Lieblingskreatur des Chefs ist garantiert dabei, der Markt lässt keine Wünsche offen.

Laien und Fachfremde halten hochbezahlten Managern ihre Fehler vor

Je höher die Anforderungen der Arbeitswelt werden, je größer der Stress und je unsicherer die Zukunft scheint, desto beliebter werden die kostspieligen Angebote, die helfen sollen, die Karriere auf den rechten Weg zurückzubringen. Was früher undenkbar gewesen wäre - dass Laien und Fachfremde hochbezahlten Managern ihre Fehler vorhalten und auch noch wissen, wie es besser geht - gehört heute ganz selbstverständlich ins Repertoire jeder größeren Firma.

Nach einer Studie der Unternehmensberatung Kienbaum setzen inzwischen etwa zwei Drittel der größeren Unternehmen Coaching als Instrument der Führungskräfte-Entwicklung ein. Coaching, so das Fazit der Managementberatung, sei längst keine Modeerscheinung mehr, sondern habe sich in Deutschland fest etabliert.

Aussicht auf phantastische Bezüge

Die gestiegene Nachfrage hat für einen Boom auf der Angebotsseite gesorgt: 70.000 Coaches und diverse Interessenverbände tummeln sich auf dem deutschen Markt, sagt der Vorsitzende des Deutschen Bundesverbandes Coaching e.V. (DBVC), Christopher Rauen. "Davon sind allerdings nur 5000 Anbieter Business-Coaches im engeren Sinne. Außerdem gibt es ein paar schwarze Schafe."

Denn die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Coach darf sich jeder nennen, der glaubt, sich besonders gut mit Leuten unterhalten zu können. Was lockt, ist die Aussicht auf phantastische Bezüge: Die Honorare für ein Einzelcoaching können zwischen 1500 und 2500 Euro liegen.

Doch was ist ein gutes, seriöses Coaching überhaupt? "Eine professionelle Begleitung und Unterstützung, bei der Manager eigene Lösungen für ihre beruflichen Probleme finden sollen", sagt Rauen. Im Vordergrund stehe die Weiterentwicklung der Führungskraft, die der Coach beratend begleite.

Berufs- und Lebenserfahrung als Kompetenzbeweis

Häufig, so Rauen, würden in den Seminaren Probleme im Team oder mit Untergebenen besprochen. "Viele fragen nach Psychotricks, um ihre Mitarbeiter in den Griff zu bekommen, besser gesagt: zu manipulieren." Doch das sei der falsche Ansatz. "Im Coaching geht es um Mitarbeiterführung: Was sind typische Verhaltensweisen des Vorgesetzten, wie reagiert das Team darauf? Ein Coach sollte solche Prozesse offenlegen."

Ob ein Coach dies wirklich kann, ist für Kunden leider nicht immer zu erkennen. Die Ausbildungswege und Qualifikationen sind so vielfältig wie die Angebote selbst. Als Beleg für ihre Kompetenz heben die Berater häufig nur ihre eigene Berufs- und Lebenserfahrung hervor: "Über 20 Jahre äußerst erfolgreiche Führung von Unternehmen im In- und Ausland", heißt es auf Flyern und Homepages. Manche Slogans klingen eher nach einer Verlegenheitslösung oder längerer Arbeitslosigkeit: "Durch eine vierjährige Selbsterfahrung neben meinem Beruf habe ich meine Potentiale neu erkannt und mich beruflich als Coach orientiert", oder "Während einer langjährigen Berufspause entdeckte ich meine Begeisterung dafür, auch erwachsene Menschen darin zu unterstützen, ihre Ziele zu finden und sie zu erreichen."

Auf der nächsten Seite: Coaching mit Tarotkarten oder mittels Schädelvermessungen - wie man unseriöse Angebote erkennt und welche Qualifikationen ein Coach mitbringen sollte.

Wildwuchs in der Branche

Lebenserfahrung allein ist jedoch kein besonders guter Ratgeber. "Ein seriöser Coach sollte unbedingt psychologisches und betriebswirtschaftliches Wissen mitbringen sowie Branchenerfahrung haben", empfiehlt Christopher Rauen. "Ein abgebrochenes Germanistik-Studium sollte einen potentiellen Kunden dagegen skeptisch stimmen."

Rauen selbst sind während seiner Verbandstätigkeit schon die interessantesten Offerten begegnet: "Coaching mit Tarotkarten oder mittels Schädelvermessungen - solche Angebote gibt es leider." Dem DBVC sind auch Fälle bekannt, in denen Berater Kundinnen über Intimitäten und sexuelle Vorlieben ausgehorcht und missbraucht haben.

Einer, der sich der Qualitätsprüfung von Coaches und ihren Angeboten verschrieben hat, ist Harald Geißler, Professor für Pädagogik an der Hamburger Bundeswehr-Universität und Leiter der Forschungsstelle Coaching-Gutachten. Mit dieser Einrichtung will er dem Wildwuchs in der Branche Einhalt gebieten.

Tolle Ausstrahlung - nichts dahinter

Dazu analysiert er Tonbandaufnahmen von Sitzungen und führt Analysegespräche mit dem betreffenden Coach. "Wir prüfen, ob er die Problematik des Klienten hinreichend differenziert erkannt hat", erklärt Geißler. "Es gibt viele Coaches, die sich beim Kunden rhetorisch einwandfrei darstellen können und eine tolle Ausstrahlung haben. Wir schauen hinter diese Fassade - ob wirklich etwas dran ist."

Befinden Geißler und sein Team einen Anbieter für gut, wird der Prüfungsbericht auf der Homepage der Forschungsstelle veröffentlicht: "Der Coach kann sich in der Kommunikation mit dem Klienten sehr gut auf dessen besondere Bedingungen und Eigenarten einstellen und ist in der Gestaltung des Beratungsprozesses außerordentlich flexibel und anpassungsfähig. Es gelingt ihm gut, das Spannungsfeld zwischen Nähe (Empathie) und Distanz (Analytik) auszubalancieren, und er beherrscht die Kunst des systemischen Fragens ausgezeichnet", lauten etwa solche Beurteilungen.

Solange es keinen allgemein anerkannten Coachingverband gibt, der diese Aufgabe übernimmt, ist für Geißler die Einrichtung einer solchen Zertifizierungsstelle der beste Weg, Selbstüberschätzungen, Fehldiagnosen und Grenzüberschreitungen in Coachings zu vermeiden. "Die wirtschaftlichen und psychischen Schäden, die qualitativ schlechte Coachings anrichten, können enorm sein", sagt er. Das treffe vor allem dann zu, wenn der Klient sich in einer persönlichen Krise befinde oder vor Entscheidungen mit weitreichenden Folgen stehe. "Wir geben Interessierten einen Anhaltspunkt, bei wem sie vor negativen Erfahrungen sicher sind."

Vorbilder und Preise für gute Coachings

Allerdings stehen auf Geißlers Homepage erst Gutachten zu 24 Coaches - angesichts der Angebotsfülle eine sehr überschaubare Zahl. Auch warum ausgerechnet er Coaches und ihre Seminare zertifizieren darf, wird nicht so recht klar. Abgesehen von der Unterstützung der Personalabteilungen einiger großer Unternehmen hat der Professor keine Legitimation.

Dieses Problem sieht auch Christopher Rauen vom Deutschen Bundesverbandes Coaching. "Eine solche Beurteilung sagt oft mehr über denjenigen aus, der beurteilt, als über das Coaching selbst." Für ihn geht der Weg zu mehr Qualität in der Branche über Vorbilder und Preise für gute Coachings. "Es muss Leuchttürme geben, an denen sich andere orientieren können."

Doch eine Professionalisierung des Berufsstandes wird auf diese Weise noch sehr lange dauern. "Und solange es Kunden gibt, die esoterische Angebote suchen oder Trainings mit Tieren toll finden, gibt es auch jemanden, der so etwas im Programm hat. Das ist schlicht eine Frage von Nachfrage und Angebot."

Selbsternannte Lebenshelfer werden also noch länger mit Wölfen oder Pferden arbeiten und sinnsuchende Manager gemeinsam mit Lamas durch deutsche Mittelgebirge treiben - bis die ersten Tierschützer gegen die Branche mobilmachen.

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