Campen für den Job:Die Arbeitsnomaden

Lesezeit: 5 min

Berlin zieht junge Kreative aus ganz Europa an. Die Aufträge bringen sie sich aus ihren Herkunftsländern mit.

Von Laura Weissmüller

Campingplätze sind gewöhnlich bevölkert von jungen Menschen in Partylaune. Sie sind billig, aber auf Dauer etwas anstrengend. Berlin entwickelt sich gerade zum größten Zeltlager Europas, zumindest im Bezirk Prenzlauer Berg zu: Er ist voll von jungen Leuten mit leuchtenden Augen - und umso dunkleren Augenrändern. Für Künstler und Studenten, Unterhaltungskonzerne und Messen ist Berlin schon seit langem attraktiv. Seit kurzem zieht es aber noch eine neue Gruppe in die Metropole: die europäischen Arbeitsnomaden.

Der Laptop macht's möglich, nicht nur in Berlin: Diesem Mann dient ein stillgelegter Bahngleis als Arbeitsplatz. (Foto: Foto: dpa)

Angelockt von der Nachricht, hier treffe sich die Jugend Europas, schlagen immer mehr Kreative vor allem aus Skandinavien ihre Zelte in der deutschen Hauptstadt auf. Einer von ihnen ist der Norweger Anders Hofgaard, der mit seinem Freund Serge Rompza das Graphikdesignbüro "node" betreibt. Vor drei Jahren verbrachte er den Sommer in Berlin und war begeistert: "Alles ist billig hier, und es gibt viel Platz, deswegen wird mehr gewagt und ausprobiert. Nicht wie in Oslo oder Amsterdam, wo das viele Geld private Initiativen eher einschränkt als fördert."

Die größte Anziehungskraft für die Skandinavier geht in der Tat vom Berliner Preisniveau aus: Büromieten und Angestellte kosten hier etwa ein Drittel von dem, was in Oslo oder Stockholm zu zahlen wäre. Genauso verhält es sich mit dem Lebensunterhalt und den Wohnungsmieten. "In London oder New York müssten wir pausenlos arbeiten, nur um unsere Miete bezahlen zu können," hat sich Hofgaard ausgerechnet.

Hinzu kommt, dass der Berliner Leerstand die Suche nach dem passenden Arbeitsraum wesentlich einfacher macht als in der Heimat. Neben dem billigen Leben ist es aber auch die Kunst- und Partyszene, die die Resteuropäer anzieht: Galerien und Plattenläden schießen aus dem Boden, und auch wenn die wilden Tage der Neunziger nur noch in den blumigen Beschreibungen der angegrauten Partygäste überlebt haben, sind die Clubs zahlreich und manchmal sogar ein bisschen wild.

Die Medien im Ausland rühren kräftig die Werbetrommel: "Die deutsche Hauptstadt ist bei uns sehr präsent. Meist wird das Thema aber sehr oberflächlich behandelt, dann steht eben drin, wo die besten Clubs und Cafés sind oder welcher Bezirk gerade in ist." Nebenbei liefern einige Reportagen jedoch auch konkrete Mietpreise und heizen damit den Hype an.

Dabei hoffen die Norweger, Schweden, Engländer keineswegs darauf, in Berlin selbst Arbeit zu finden, wie Anfang der Neunziger, als der gesamte europäische Architektennachwuchs in Berliner Büros angeheuert hatte. Nein, die Arbeitsnomaden bringen die Arbeit aus ihren Herkunftsländern mit. Sie wohnen und arbeiten zwar in Berlin, doch die Aufträge kommen aus dem Ausland. "Wir wussten, dass es schwer sein wird," erzählt der 30-jährige Hofgaard. "Deswegen haben wir zunächst in Oslo angefangen zu arbeiten, um uns eine Basis zu schaffen. Dadurch hatten wir hier vom ersten Tag an etwas zu tun."

Der Plan, später auch Aufträge in der deutschen Hauptstadt an Land zu ziehen, ging nicht auf. Auch nach bald zwei Jahren ist Oslo Arbeitgeber Nummer eins. Alle vier bis sechs Wochen ist Hofgaard deswegen dort, meistens übernachtet er dann bei Freunden.

Sein Landsmann Marius Watz ist noch häufiger unterwegs: "Ich bin mindestens sieben bis zehn Tage pro Monat nicht in der Stadt, den Rest der Zeit arbeite ich zwar in Berlin, aber für auswärtige Klienten." Für seine Kunst- und Designprojekte reist er quer durch Europa: von Oslo über Wien bis nach Lissabon. Ein gut funktionierendes Netzwerk ist dabei überlebensnotwendig wie der Graphikdesigner Nicolas Bourquin festgestellt hat: "Als ich von Zürich hierher kam, musste ich alles neu aufbauen. Vier Jahre später kann ich endlich in Berlin von meinem neuen Netzwerk leben." Zwar pendelt der Schweizer nicht mehr wie noch vor zwei Jahren nonstop zwischen Zürich und Berlin hin und her, trotzdem ist Bourquin immer noch ein- bis dreimal pro Monat arbeitsbedingt außerhalb Deutschlands.

Damit die ganze Welt zum Arbeitsplatz werden konnte, waren drei Dinge notwendig: erstens die Billigfluglinien. Ohne Easyjet und Ryanair wäre es unmöglich, kurzfristig nach Amsterdam, Oslo oder Zürich zu fliegen, um bei wichtigen Terminen präsent zu sein. Denn manchmal möchte der Kunde eben doch ein bisschen mehr sehen als eine E-Mail-Adresse. Die Tickets, die vorher das Doppelte und Dreifache gekostet haben, sind jetzt selbst für Jungunternehmer erschwinglich.

Zweitens machen es die billigen Breitbandanschlüsse möglich, auch riesige Dokumente problemlos hin- und her zu schicken. "Oft wissen unsere Kunden gar nicht, dass wir gerade von Estland oder Deutschland aus arbeiten", gesteht Hofgaard.

Watz wickelt einige Projekte ausschließlich übers Internet ab, ohne ein einziges Mal die Klienten persönlich getroffen zu haben, wie etwa bei seinen Werbeaufträgen für Nokia und Nike. Bei der Schweizerin Maria Tackmann, die sich Anfang des Jahres in Berlin als Grafikerin und Illustratorin selbstständig gemacht hat, verhält es sich ähnlich: "Ich erledige alles per E-Mail."

Die dritte Voraussetzung die es möglich machte, den Arbeitsplatz über Landesgrenzen hinweg auszudehnen, sind die Abkommen der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums, zu dem auch Norwegen zählt: die Bewohnern dürfen frei in jedem Mitgliedsstaat ihr Geld verdienen.

Um sich ihr Leben in Berlin zu finanzieren, arbeiten viele Skandinavier für Kulturprojekte aus der Heimat. Kulturstiftungen sind in Norwegen mit großzügigen Fördermittel ausgestattet, manchmal unterstützt auch die Botschaft temporäre Projekte. Außerdem ist es relativ leicht, Staatsstipendien zu erhalten, die auch im Ausland ausgeübt werden dürfen. Gleichzeitig bleiben die Stundenlöhne "nordisch", also etwa dreimal so hoch wie in der deutschen Hauptstadt. "Wir haben hier nicht den Druck, Geld zu verdienen nur um zu überleben, sondern den Luxus, zu selektieren, was wir machen wollen", erklärt Anders Hofgaard. Für den Graphikdesigner, der überwiegend für nicht-kommerzielle Kulturprojekte arbeitet, war das ausschlaggebend für den Umzug.

Ist Berlin also das neue Paradies für mobile Arbeitnehmer? Vielleicht. Auffallend ist aber, wie jung das moderne Nomadentum ist: Kaum einer ist über 35, feste Beziehungen sind selten, und so gut wie niemand hat Familie. Meist weiß Hofgaard nicht länger als zwei, drei Monate im Voraus, an welchen Projekten er arbeiten wird, und wo dann sein Arbeitsplatz liegen wird. Flexibel zu sein ist Pflicht, und Spontaneität gehört zum guten Ton.

Die großen Distanzen machen es - trotz technologischer Entwicklung - nicht immer einfach: Verschieben sich Meetings, wird das Umbuchen der Billigflüge zum Albtraum . "Manchmal ist das Organisieren der Reisen fast meine Hauptbeschäftigung." Außerdem ist das ständige Herumfliegen anstrengend. "Das viele Hin und Her mag sich aufregend anhören, aber manchmal ist es einfach schrecklich", s oHofgaard. "Ich fühle eine ständige Unruhe in mir. Auch wenn das im Moment genau das Richtige für mich ist - in fünf Jahren mache ich das bestimmt nicht mehr!" Von den eineinhalb Jahren, die "node" jetzt in Berlin existiert, haben er und sein Kollege ein halbes Jahr lang ihr Büro im Prenzlauer Berg nicht gesehen.

Auch die Stadt selbst kann zum Problem werden: Die große Konkurrenz und die wenigen Jobs, die sich die etablierten Agenturen teilen, fordern einen langen Atem und viel Geduld, wenn die Reiselust abnimmt und die Pendler sich endgültig niederlassen wollen. "Einerseits bringt das fehlende Geld all die Möglichkeiten und Initiativen hervor, andererseits entsteht dadurch auch eine depressive Seite. Die Wirtschaft nimmt kreative Ergebnisse nicht auf", beklagt sich der Designer. "Wir haben weder Öffentlichkeit noch ökonomische Plattform."

Das deprimiert, genauso wie das aussichtslose Warten auf Jobs in Berlin. Deswegen brechen einige ihre Zelte bald wieder ab, um sich einen festen Arbeitsplatz zu Hause aufzubauen. Auch Anders Hofgaard spielt mit dem Gedanken. Irgendwann ist man einfach zu alt fürs Campen.

© SZ vom 19.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: