Bundestag:Aus Amtsdeutsch soll Sprache werden

Lesezeit: 2 min

Was jetzt eine einzige Frau tut, wird künftig ein Stab leisten: Gesetze verständlich formulieren.

Christoph Hickmann

Eigentlich fängt die Sache ja mit Frau Thieme an, die niemand Frau Thieme nennt. Sondern den Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim deutschen Bundestag, worunter man sich spontan einen sehr großen Raum mit sehr vielen sehr konzentriert arbeitenden Menschen vorstellt, dann dort anruft und am Ende Frau Thieme am Apparat hat, die ein bisschen kichert und sagt: "Naja, ich bin ja eigentlich der Redaktionsstab."

Das dürfte jetzt anders werden, die Rechtsanwältin und Germanistin Stephanie Thieme soll tatsächlich bald einen Stab bekommen für das, was sie im Bundestag tut: Gesetze daraufhin prüfen, ob man sie einfacher formulieren kann, etwa jenen Satz aus dem Sozialgesetzbuch X: "Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen."

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Frau Thieme dieses Gesetz geprüft hat, obwohl sie laut Geschäftsordnung des Bundestages eigentlich alle Gesetze prüfen müsste. Das ist aber gar nicht möglich, sie hat nur eine halbe Stelle bei der Gesellschaft für deutsche Sprache, kurz GfDS, und erst seit einem Monat wieder eine Kollegin mit einer zweiten halben Stelle. Der Bundestagsabgeordnete Ole Schröder (CDU) sagt dazu: "Das ist ein Witz." Und sein SPD-Kollege Lothar Binding meint: "Der Redaktionsstab kann das nicht alles leisten, und deswegen degenerieren Gesetze teilweise bis zur absoluten Unverständlichkeit." In der Schweiz übrigens gibt es auch einen solchen Redaktionsstab. Er besteht dort aus 13 Leuten.

Schröder und Binding haben sich deshalb zusammengetan, sie bilden jetzt sozusagen die große Koalition der Sprachverschlanker, und damit Frau Thieme und die andere Hälfte des Stabs bald nicht mehr allein sind mit den vielen garstigen Sätzen, haben sie beim Justizministerium Geld für ihr Projekt beantragt. Träger soll laut Ministerium wiederum die GfDS sein. Im nächsten Jahr soll es starten, dann könnten neue Mitarbeiter kommen. "Wir rechnen mit etwa zwei vollen Stellen", sagt Stephanie Thieme, unter deren Leitung die neuen Kollegen sich vor allem um zwei Dinge kümmern würden: Sie sollen die Entstehung eines Gesetzes von Anfang an begleiten sowie bis zum Schluss prüfen, ob es noch verständlich ist. Und zusätzlich mindestens ein fertiges Gesetz vom Amtsdeutsch entrümpeln.

Einige Ministerien haben schon angekündigt, mit den Prüfern zusammenarbeiten zu wollen. Das Projekt bleibt erst einmal auf ein Jahr begrenzt, das Geld ist bereits im Haushalt 2007 veranschlagt. Der passende Titel: Zuschüsse zur Förderung rechtswissenschaftlicher Vorhaben und überregionaler rechtswissenschaftlicher Vereinigungen. Frau Thieme, bitte ganz schnell übernehmen!

© SZ vom 29.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: