Blue Card für Einwanderer:Herzlich willkommen?

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Die Blue Card soll dringend benötigte Fachkräfte in die EU locken. Unternehmen in Deutschland halten von der Idee nicht besonders viel.

Berit Schmiedendorf

"Die Blue Card wird uns wahrscheinlich operativ nicht helfen: Sie kommt zu spät", sagt Michael Klein. Er ist für das internationale Personalmanagement bei der Düsseldorfer SMS Demag AG verantwortlich. Das Unternehmen, das weltweit 9000 Mitarbeiter beschäftigt, baut Anlagen für die Stahlindustrie. Die Auftragsbücher des Engineering-Unternehmens sind prall gefüllt - so prall, dass Klein mehr Ingenieure braucht. "Allein in Deutschland suchen wir aktuell 150 Maschinenbauer und Elektrotechniker", sagt Klein. Das Problem: Es gibt sie gerade nicht, die Ingenieure - zumindest nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt und auch nicht in den Nachbarländern. Deshalb will die Europäische Kommission die Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus Drittstaaten erleichtern - mittels Blue Card.

Ausländische Fachkräfte: Europa beschäftigt weniger Arbeitskräfte aus Drittstaaten als etwa Australien. (Foto: Foto: dpa)

Bisher gibt es die blaue Karte allerdings noch nicht. Und ob sie den Fachkräftemangel in Europa beheben wird, wenn sie denn existiert, ist ebenfalls umstritten. Personalmanager Klein beispielsweise hält die Idee der Blue Card "für relativ unausgegoren". Es gebe noch viele Streitpunkte - wie die Einkommensmindestgrenzen oder die fachlichen Kompetenzen der Bewerber.

Kein soziales Netzwerk

Dass scheinbar schlüssige Ideen zur Arbeitsmarktpolitik nicht immer fruchten, zeigte sich schon vor ein paar Jahren: Als man osteuropäische und indische Software-Experten nach Deutschland holen wollte, verweigerten die ausländischen Arbeitskräfte die zuvor innerdeutsch heftig umstrittene Einladung einfach und gingen weiterhin lieber in die USA. Die Gründe sind schnell aufgezählt: Außereuropäische Spitzenkräfte sprechen in der Regel Englisch, aber kein Deutsch; sie können in den Vereinigten Staaten oftmals auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen, und die Gehälter für die Arbeitsmigranten sind dort deutlich höher als hierzulande.

Vorbehalte gegen die Blue Card kommen auch aus der Politik. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) will das Thema Einwanderung nicht nach Brüssel abgeben: Migrationspolitik solle Ländersache bleiben. Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, lehnt den Vorschlag von EU-Kommissar Franco Frattini rundweg ab: Solange es Millionen von Arbeitslosen gebe, habe die Vermittlung aus dem deutschen Arbeitsmarkt Vorrang. Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission, hält dagegen: Länder wie Deutschland, Italien oder Ungarn seien wegen ihrer demographischen Entwicklung besonders auf Einwanderung angewiesen.

Nun ist ja bekannt, dass es Einwanderung längst gibt. Zurzeit halten sich nach Angaben von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften, 18,5 Millionen Menschen aus Drittstaaten in Europa auf. Dabei handelt es sich allerdings nur zu einem sehr geringen Prozentsatz um hochqualifizierte Migranten: Mit einem Anteil von 1,72 Prozent gut ausgebildeter Arbeitskräfte aus Drittländern an der Gesamtbeschäftigung liegt Europa deutlich hinter anderen Zuwanderungsländern. In Australien beträgt der Anteil ausländischer Fachkräfte 9,9 Prozent, in Kanada 7,3 und in der Schweiz 5,3.

"Hochqualifizierte Migranten sind in der EU willkommen", sagte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso bei der Verabschiedung der Vorschläge für die Blue Card. Auch Wirtschaftsforschungsinstitute, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sowie Unternehmensverbände vornehmlich der Branchen, in denen momentan Fachkräfte fehlen, begrüßen die Pläne für die Einführung der Blue Card. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist von der Idee angetan, hochqualifizierte Ausländer nach Europa zu locken, gibt aber zu bedenken, dass begleitende Maßnahmen unerlässlich seien. "Deutsche Unternehmen müssen im Ausland auf jeden Fall Standortmarketing betreiben. Denn die Arbeitskräfte, die wir suchen, suchen andere Länder auch", sagt Oliver Koppel, Leiter des Referats Innovationsökonomik des Instituts.

Genug Bewerber durch traditionelle Suche

Außerdem dürften nicht alle Unternehmen, die Fachkräfte suchen, gleich erfolgreich sein bei der Personalsuche mit Hilfe der Blue Card. Für die Ford-Werke GmbH mit Sitz in Köln beispielsweise "spielt die Blue Card keine Rolle derzeit", sagt Frank Rütten, Leiter des Human Resources Service Center. Zum einen stellt der Autobauer dieses Jahr nur etwa zwanzig neue Mitarbeiter in Deutschland ein. Zum anderen "finden wir auch durch traditionelle Suche wie durch Printanzeigen oder unsere Uni-Kontakte genug Bewerber", sagt Rütten.

Unterschiede beim Handling mit der Blue Card erwartet das IW auch je nach Größe der suchenden Firmen. "Für große Unternehmen ist die Blue Card eine ganz hervorragende Sache. Doch was ist mit den mittleren und kleinen Firmen, die keine Erfahrungen mit hochqualifizierten ausländischen Fachkräften haben? Welcher Mittelständler hat denn eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung, in der deutsch und englisch gesprochen wird?", fragt Referatsleiter Koppel.

Bei der SMS Demag AG ist die Sprache zwar kein Problem, wohl aber die Zeit. Auf die Einführung der Blue Card kann der Anlagenbauer nicht warten. Das Unternehmen hat weltweit Standorte und sein Personal vernetzt. "Wir haben internationale Teams gebildet, die an den jeweiligen Standorten arbeiten. Und wenn wir mehr Personal brauchen, stellen wir neue Mitarbeiter in China oder Indien ein - das ist wesentlich unkomplizierter, als diese Leute nach Deutschland zu holen", sagt Personalmanager Klein.

© SZ vom 10.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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