Bildung:Im pädagogischen Mastbetrieb

Lesezeit: 2 min

Zehn-Stunden-Tage für Pubertierende bleiben eine Zumutung: Wer die Schulzeit verkürzt, muss die Lehrpläne entrümpeln. Sonst wird Schule zur Qual.

Tanjev Schultz

Das Stopfen von Gänsen ist in Deutschland verboten, weil es eine Quälerei ist. Es fügt den Tieren Prellungen zu, sie erleiden Knochenbrüche, Entzündungen und Organstörungen. Die Stopfleber ist das Produkt einer Pein. Genauso kann es Kindern ergehen, denen in großer Eile viel Stoff in die Köpfe gestopft wird. Auch wenn die Schule Anstrengungen verlangen muss: Ziel der Schule ist nicht der Stopfkopf. Der Weg zum Abitur darf nicht als Tortur erlebt werden.

Schulstunde reiht sich an Schulstunde: Zehn-Stunden-Tage für Pubertierende bleiben eine Zumutung. (Foto: Foto: ddp)

Das Ziel sind junge Menschen, die etwas nachhaltig verstanden haben. Wer sie intellektuell und ästhetisch schulen will, muss sie für Themen und Werke begeistern. Er muss Leidenschaft wecken, die zum selbständigen Lernen bewegt. Das braucht Zeit. Im pädagogischen Mastbetrieb, wie es das verkürzte Gymnasium G 8 ist, kann dies nur schwer gelingen. In Hessen hat der Unmut der Eltern über die Hast im G 8 dazu beigetragen, dass die Union die Wahl verlor. Dies ist eine Warnung an alle Kultusminister, die im Schnellverfahren die Schulzeit verkürzt haben.

Es mag ja sein, dass einige Schüler und Eltern besonders empfindlich sind und andere sich sogar mit den Verhältnissen im G 8 arrangieren. Aber Zehn-Stunden-Tage für Pubertierende bleiben eine Zumutung, jedenfalls dann, wenn sich einfach nur Schulstunde an Schulstunde reiht und am Abend auch noch die Hausaufgaben warten. Es war grundfalsch, das G 8 einzuführen, ohne ein echtes Ganztagskonzept mitzuliefern.

Ob in Hessen oder in Bayern, die Kultusminister haben es fahrlässig versäumt, die Lehrpläne so zu überarbeiten, dass die Jugendlichen nicht von einer Aufgabe zu nächsten gehetzt werden müssen. Den Schulen sind viel zu wenig Freiräume geblieben, in denen sich die Schüler in Ruhe entwickeln können. Aus Sorge, die Qualität des Abiturs würde leiden, wenn man die Fülle des Stoffs reduziert, müssen die Lehrer den Schülern mehr aufbürden, als diese tragen können. Nicht die schiere Menge ist jedoch entscheidend, sondern die Qualität, mit der etwas gelernt und verstanden wird.

Schüler sollen das Lernen lernen

Jeder Fachlehrer hält natürlich seine Disziplin für die wichtigste, und dazu kommen Forderungen von Lobbygruppen, dieses oder jenes Fach doch bitte auszuweiten: Unternehmer wünschen sich mehr Wirtschaft, Naturschützer fordern Waldspaziergänge, Künstler beklagen das geringe Gewicht der Kunststunden. Ingenieure verlangen mehr Technik in der Schule und vom Übergewicht der Kinder aufgeschreckte Gesundheitsexperten mehr Sport und Koch-Unterricht. Wie soll das alles gehen?

Eine gängige, aber voreilige Antwort darauf lautet, heutzutage gehe es weniger um Fach- und mehr um Methodenwissen. Schüler sollen das Lernen lernen, sie sollen sich in der Welt orientieren können. Da ist sicher etwas dran, aber Bildung ist doch mehr, als im Internet Informationen suchen, mit einem Textmarker die wichtigsten Passagen eines Aufsatzes anstreichen und eine Power-Point-Präsentation gestalten zu können.

Das "Methoden-Training", das in der Pädagogik zur Mode geworden ist, kann das gedankliche Eintauchen in Inhalte nun einmal nicht ersetzen. Dabei kommt es aber nicht darauf an, in acht Schuljahren möglichst viele Namen und Begriffe vorbeirauschen zu lassen. Die Schüler sollen nicht nur auf den Wellen des Wissens surfen, sondern einen Anker auswerfen und lernen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Es mag sein, dass ein solches Verständnis von Bildung, das die Irritation und das Irren, das Suchen und Zweifeln einschließt, unzeitgemäß wirkt in einer Gesellschaft, die überall aufs Tempo drückt. Aber die Ungeduld, mit der Menschen Tiere mästen, kann kein Vorbild für die Schulen sein. Nicht nur, weil die Kinder darunter leiden. Die Bildung verliert auch an Substanz. Sie wird, mit einem Wort Tucholskys, "gründlich oberflächlich".

© SZ vom 5.2.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: